Antony Rizzi bei Dance 2012
Ein Gesamtkunstwerk namens Leben
Heiliger Unernst: Eine Feier des Lebens zelebriert Antony Rizzi in seiner Performance "An attempt to fail at groundbreaking theater with pina arcade smith". Und zeigt, dass man im Gesamtkunstwerk namens Leben nicht alles kapieren muss, um die Angelegenheit doch schön zu finden.
Das wird kein Theaterabend im herkömmlichen Sinne, man würde dergleichen bei Dance ohnehin nicht erwarten, aber Antony Rizzi lässt sicherheitshalber gar keinen Zweifel. "Ihr müsst durch die Scheiße, bevor ihr zur Show kommt", sagt er und führt das Publikum durch die Damentoilette zu den Plätzen.
Man kann den Einstieg über den Verdauungstrakt als Übersetzung vom Motto "per aspera ad astra" sehen, aber auch als ein Statement Rizzis: die Scheiße und das Schöne, das gehört zusammen, ebenso wie das Gemeine und das Edle, der Ernst und der Ulk.
In den kommenden zweieinhalb Stunden im i Camp wird genau das zu sehen sein: eine Show ohne besonders stark ausgeprägten roten Faden, in dem es viel um das Selbstverständnis eines Tänzers und Künstlers geht, aber auch um befreiende Erfahrungen bei römischen Nonnen, um Menschen, die einen inspirierieren, um Schmerzen beim Analsex, um die Kraft der Liebe, um Tunten-Muttis, um Kollegen, um Freude, ums einigermaßen sinnfreie Herumalbern (kann natürlich auch sein, dass man den einen oder anderen Insider-Witz nicht mitbekommt).
Im Zentrum von Rizzis Performance "An attempt to fail at groundbreaking theater with pina arcade smith" stehen drei Menschen, die ihn, sagt er, besonders geprägt haben: die New Yorker Performance-Künstlerin Penny Arcade, der schwule Untergrund-Filmemacher Jack Smith und die Tanz-Legende Pina Bausch, verkörpert durch die Münchner Tänzerin Irene Klein, die der 2009 verstorbenen Pina Bausch tatsächlich sehr ähnlich sieht. Um Dokmentarisches aber geht es hier sicher, ganz sicher nicht, eher um eine Art fröhlicher Assoziations-Balgereien. Rizzi stellt sich vor als: Jack Smith und turnt im nächsten Augenblick mit Klein am Seil über Leitern. Eine Bergtour, so scheint es, bis Bausch/Klein aufklärt: "Auf dem Gebirge hat man ein Geschrei gehört, ein Stück von Pina Bausch von 1984." Doch wer ist Rizzi gerade? Kurze Zeit nach diesem Klamauk erzählt er von den Nebenwirkungen von Aids-Medikamenten, sie machen dünn und elend, kein Problem, eine Schickimicki-Tusse würde das Zeug trotzdem schlucken - Hauptsache, schlank.
"Life is to accept the unacceptable", heißt ein anderes Programm von Rizzi. Immer wieder verbandelt Rizzi da das Schauerliche mit dem Lustigen, ein ernshafter Clown. Er reicht ein Tablett durch die Zuschauerreihen, die Leute sollen spenden, für einen Stehgeiger, den man gerade hinten über die Leinwand hat flimmern sehen. Es kommt tatsächlich ein Sümmchen zusammen, und Rizzi strahlt: Wie bei einem richtigen Theater sei das, "so viel Geld, und keine Ideen." Und wenn du nicht mehr weiterweißt, dann gebrauche schnell das Trockeneis, sagt Irene Klein und schwenkt den kleinen Nebelwerfer wie ein Weihrauchgefäß.
Währenddessen sieht man Bilder auf der Leinwand, Freunde, Partner, Kinder, Passanten, all das halt, was einem im Leben so wiederfährt. Rizzi war zwischendrin Jack Smith und Penny Arcade, hat über die Zeit mit Andy Warhol gesprochen, man hätte irgendwie dabei sein wollen, bei diesen Verrückten.
Am Ende ist Schluss mit Lustig, Rizzi tanzt, von berückender Schönheit ist das, ganz ernsthaft. Eine Feier des Lebens ist diese Show, deren Ende man erst mal gar nicht mitbekommt. Das Licht bleibt an, Rizzi wendet sich zum Gehen, dann blickt er über die Schulter zum Publikum: "Hey, das war's." Langer Beifall.