Symphonie aus der ganz neuen Welt

von kulturvollzug

Musik auf Reisen: Ein Dokumentarfilm beleuchtet das Schaffen des Dirigenten Kent Nagano in Kanada und dem Rest der Welt.

Ein ausgewachsenes Symphonie-Orchester wartet auf das Einsatzzeichen des Dirigenten, zuvor aber schieben sich eher ungewohnte Akteure auf die Bühne: Ergraute Eishockey-Stars in den Trikots der Montréal Canadians. Guy Lafleur und Co. zusammen mit Maestro Kent Nagano und den Montréaler Symphonikern auf einer Konzertbühne – die Szene deutet schon an, wohin sich Bettina Erhardts Dokumentarfilm „Kent Nagano – Montréal Symphonie“ bewegt. Der Streifen zeichnet nicht nur ein Portrait des noblen und weltgewandten Dirigenten Nagano, sondern liefert auch einen Einblick in die kulturelle Vielfalt Montreals und überhaupt Kanadas.

„Wir wollen Musik über die Wände des Konzertsaals hinaustragen“, sagt Nagano, nicht nur Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper, sondern auch Music Director des Orchestre symphonique de Montréal. Was er darunter versteht, wird schnell klar: Musik an ungewöhnlichen Orten, vor ungewohntem Publikum, mit ungewöhnlichen Ansätzen. Man könnte sagen, Nagano trägt die Musik auch über die Mauern im Kopf hinaus. Nicht nur Mozart, Mahler und Beethoven spielen die Musiker unter seiner Leitung, Nagano gibt bei Komponisten auch Stücke für einen Radiosprecher mit Orchester und den Kehlkopfgesang der Inuit in Auftrag – irritierende, faszinierende Grüße aus der Weite des kanadischen Winters. Und ein  Beleg für die Vielseitigkeit und Offenheit des Maestro.

"Ich träume von einer Welt, in der jeder Mensch die Möglichkeit hat, seinen Weg zur Kunst zu finden“, sagt Nagano. „Kultur ist Menschenrecht, sie führt aus der Herrschaft der Notwendigkeit in die Sphäre der Freiheit. Teilhabe an den Künsten macht den Menschen mündig, sie gibt ihm Kraft zum Überleben." Das funktioniert offenbar überall, auf einer Konzertreise nach Paris ebenso wie am Polarkreis, wohin Kent Nagano mit einigen seiner Musikern 2008 gereist ist. Wunderbar ist das Glänzen in den Augen, die „Ahs“ und „Ohs“ junger Inuits bei Naganos Abstechern zu Schul-Workshops. Wer hätte schon gedacht, dass das Haar eines Geigenbogens aus Pferdehaar gemacht ist, wer, dass eine Oboe so lustige Töne machen kann? Als Nagano bei einem Konzert in der Schulturnhalle Mozarts „Kleine Nachtmusik“ ankündigt, lachen die Zuhörer ob des ungewohnten Klangs der deutschen Wörter. Die Musik, sie ist die Sprache, die jeder versteht, gleich, wie alt, gleich wo.  Weil sie mehr als ein Sinneseindruck ist. Musik, so erinnert sich Nagano an seine ersten Schritte, beginnt für jeden Musiker mit einem einzigartigen Erlebnis, „once in a lifetime“, wie eine Naturgewalt. Allem Enthusiasmus zum Trotz blieb Nagano immer der ernste, sachliche, analytische Dirigent.

Entstanden ist der Film 2008, in der Jubiläumssaison des Montréaler Symphonie-Orchesters, 75 Jahre nach seiner Gründung. Jetzt kommt er in die Kinos – für die Münchner passend zum vielfach betrauerten Abschied von Nagano als Generalmusikdirektor ihrer Staatsoper, dessen Vertrag wegen Differenzen mit Intendant Nikolaus Bachler nicht über 2013 hinaus verlängert wurde.

Jan Stöpel

Veröffentlicht am: 07.01.2011

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