Hiroshi Sugimoto im Museum Brandhorst
Ästhetik vertikaler Horizonte
Die Ausstellung "Hiroshi Sugimoto. Revolution" zeigt in einer eindrucksvollen Präsentation 15 großformatige Arbeiten eines der bekanntesten Fotokünstler unserer Zeit.
Die Grenze zwischen Meer und Himmel ist vollends aufgehoben auf dem 1990 am Nordkap entstandenen Bild mit dem Titel "Revolution 006". Ein Horizont, der auf die Trennung der Elemente hinweisen könnte, ist nicht erkennbar. Lediglich ein winziger, nur bei eingehender Betrachtung zu entdeckender Sichelmond gibt Orientierung.
Die in der Ausstellung in dieser Form erstmals gezeigten Werke gehen auf frühere Fotografien des Künstlers zurück. Sie entstammen seiner wohl bekanntesten Serie "Seascapes", die er seit mehr als 30 Jahren verfolgt. Der Bildaufbau ist stereotyp: Nur Meer und Himmel sind zu sehen, der Horizont verläuft in der Mitte und verschwindet je nach Witterung im Grau von Dunst und Nebel. Auf den Nachtaufnahmen ist der Mond mit seinen Spiegelungen auf der Wasseroberfläche sichtbar.
"Revolution"! Der Titel bedeutet im Kontext der Schau nicht etwa Umsturz oder Veränderung politischer Verhältnisse. Sugimoto führt den Begriff auf seine ursprüngliche Bedeutung als die "Aufhebung oder Umwälzung von bisher als gültig anerkannten Gesetzen und Praktiken aufgrund neuer Erkenntnisse und Methoden" zurück, wie es im Begleittext zur Ausstellung heißt. Das Neue entsteht durch Transformation des schon Vorhandenen. Vergrößerungen von Fotografien werden im Uhrzeigersinn um 90 Grad gedreht. In der Vertikalen verlieren sich Motiv und eine etwa romantische Verbrämung des Nacht-Mond-Bildes - ein Effekt, der durch Langzeitbelichtungen, die den Gang des Mondes zeitlich nachvollziehen, noch erhöht wird.
Hiroshi Sugimoto, 1948 in Tokyo geboren, studiert zunächst an der dortigen St. Pauls University. 1972 geht er nach Los Angeles und 1974 nach New York, wo er - mit Nebenwohnung in Tokyo - bis heute lebt und arbeitet. Neben der Lichtbildnerei, die den Schwerpunkt seines Schaffens darstellt, widmet er sich zunehmend auch der Architektur, dem Entwurf von Möbeln, Objekten und Mode. Seine Lichtbilder jedoch sind es, die in vielen großen Sammlungen der Welt vertreten sind.
Natürlich: es handelt sich bei den Arbeiten um Fotografien, die einen Moment Realität festhalten, um alsbald Vergangenheit zu sein. Sugimoto nimmt diesen Nu jedoch aus der Zeit. Er reduziert das Abbild auf ein formales Minimum, lässt Denkbilder entstehen, um "mit den Mitteln der Fotografie eine uralte Stufe menschlicher Erinnerung sichtbar zu machen", wie er 2002 schrieb. Es geht darum, "in die Vergangenheit zurückzugehen und sich zu erinnern, woher wir kommen und wie wir entstanden sind". Vor diesem Hintergrund lassen sich die Arbeiten auch als Ur-Bilder sehen, in denen sich japanische Traditionen, von denen sich der Künstler nie gelöst hat, und westliche Sichten vermengen.
Die Münchner Ausstellung lebt ganz wesentlich von der großartigen Präsentation im Museum Brandhorst. In sechs abgedunkelten Kabinetten sind die Bilder in exzellenter Ausleuchtung zu sehen und ziehen den Betrachter in ihren Bann, laden nachgerade zur Andacht ein. Eingangs der Ausstellung und am Ende des Rundgangs werden drei frühe Arbeiten aus der Serie "Seascapes" gezeigt, die in den 1980er Jahren entstanden sind. Sie verdeutlichen den Ursprung, aus dem die ausgestellten Arbeiten der neuen Reihe kamen. Sehenswert!
Ein Tipp: Trauen Sie sich ruhig und legen sich einmal auf Boden oder Bank, um so einen horizontalen Blickwinkel zu erreichen. Es ergeben sich verblüffende Erkenntnisse.
Bis zum 10. Februar 2013 im Museum Brandhorst in München, täglich außer Mo 10 bis 18 Uhr, Do bis 20 Uhr. Zur Ausstellung ist bei Hatje Cantz ein Buch für 48 Euro erschienen.