Holger Dreissigs "Zeitmaschine"
Utopien der Titanic
„Zeitreisen ist gefährlich“, weiß Holger Dreissig. Warum, erfährt man in seinem neuen Theaterstück „Zeitmaschine“ im i-camp.
Seit 1992 kreiert der Münchner (Kürzel H30) fast jährlich eine Aufführung seines 24-teiligen Projektes „Verwaltungsperformance“. Weil er damit schon 21 Jahre durch unsere Zeit unterwegs ist, widmet er die „22. Stunde“ der Zeitreise.
Dreissig hat sich mit der „Verwaltungsperformance“ vorgearbeitet von der verwalteten Alltagswelt zum nicht Verwaltbaren: Krankheiten, Drogen, Parasiten, Revolutionen. Nun geht's um Utopien, die oft genug in Dystopien enden. Als Vehikel dient die vor 101 Jahren gesunkene Titanic. Auf deren Spuren reiste Dreissig mit dem Titanic-Freak Ben Stangl nach Irland. Der Luxusliner wurde in Belfast hergestellt, Stangl hat ihn als Modell nachgebaut und kennt jede einzelne Niete.
Aber es geht um mentale Konzepte: Zu Bruckners 6. Sinfonie lassen sich drei „Psychonauten“ in orangen Overalls zurückbeamen in einen „pantemporalen Kongress“ in Dublin anno 1912. Und treffen da den schrulligen H. G. Wells (Tom O'Malley), der mit seinem Roman „Die Zeitmaschine“ 1895 zum Vater moderner Zeitreisen wurde. Beim Kongress besuchen sie ein Filmseminar. Mit Verve referiert Oli Bigalke über 120 Sci-Fi-Filme - systematisiert nach Zeitschleife, Parallelwelten, Selbstbegegungen et cetera. Für Sci-Fi-Fans höchst informativ, andere fragen sich ermüdet, wann der DVD-Koffer endlich leer sei.
Zumal dazwischen noch die irischen Freiheitskämpfe - fahnenschwingend erzählt von Deman Benifer - und die Reiseerlebnisse von H30 (Text, Regie, Bühne, Kostüme) abgehakt werden müssen. Da werden trotz schöner, absurder Bilder die zweieinhalb Premieren-Stunden zu Zeiträubern.
i-camp, bis 20. und 23. bis 27. Jan.2013, 20.30 Uhr, Tel. 65 00 00