Die Lust am Grauslichen
Thomas Bernhard in aller Kürze: Die grotesken Zeitungsmeldungsanekdoten vom „Stimmenimitator“ des galligen Österreichers bringt das TamS unterhaltsam auf die Bühne.
Für eine Bibliothek befinden sich entschieden zu wenige Bücher in den Regalen. Eine Asservatenkammer, ein Archiv? Ja, schon eher, das könnte der Raum sein, in dem sich die beiden Darsteller befinden: eine Frau (Sophie Wendt) und ein Mann (Laurenz Claussen), beide jeweils an einem Tisch, vor sich einen Stapel Papier, eine Leselampe. Hinter ihnen ein Regal. Darin Kaffeekannen, Spieluhren, Aktenordner, leere Aquarien, Globen.
Das Regal wird im weiteren Verlauf des Abends ein Eigenleben entwickeln. Blumentöpfe fallen runter, Geranien lassen die Köpfe hängen - und fallen, in einem Löschdeckenbehälter befinden sich, je nach Spielverlauf und Bedarf, wundersamerweise Briefe, die ein Postbote trotz längst mitgeteilter Todesnachricht zugestellt hat, oder Schnaps, oder ein Aschenbecher. Im Regal liegen stumme Zeugen von Kriminalfällen und sonderbaren Begebenheiten, die einen den Kopf schütteln lassen, bevor man eilig wieder zum Tagesgeschäft übergeht.
Bühne frei also für Thomas Bernhard, nicht für eines seiner Stücke diesmal, sondern für ein Best of seines „Stimmenimitator“, oder vielmehr für ein Worst of: „Vom Schlimmsten das Beste“ heißt die Produktion, das gestern im TamS Premiere feierte: eine kleine, feine Auswahl aus Bernhards 104 kurze und kürzeste Geschichten zählende Sammlung von fiktiven Zeitungsmeldungen. Ihr Personal besteht aus konsequenten Komikern, gefressenen Dompteuren, pflichtvergessenen Postboten, britischen Gipfelstürmern, eingemauerten Höhlenforschern.
Der gemeinsame Nenner ist das Groteske, das Grausliche, das sich sinnwidrig in den Alltag drängt, und das auch noch überspitzt sachlich und distanziert geschildert, oft mit Menschen, die Tabus verletzen oder deren Vergehen man lieber tabuisieren würde. Mal statuiert ein Staatsanwalt ein Exempel an sich, mal geraten Höhlenforscher und diverse Rettungstrupps in Not. Man geht solchen Sachen lieber nicht auf den Grund, sondern mauert im Zweifelsfalle die gefräßige Höhle zu. Dann wieder behauptet einer, Goethes letzte Worte seien gewesen: "Mehr nicht", statt "mehr Licht!" So einer kommt ins Irrenhaus, und der einweisende Arzt darf sich des Beifalls der Bildungsbürger sicher sein.
„Man kann in Verzweiflung, sage ich, gleich, wo man ist, gleich, wo man sich aufhalten muss in dieser Welt, von einem Augenblick auf den anderen aus der Tragödie (in der man ist) in das Lustspiel eintreten (in dem man ist), umgekehrt jederzeit aus dem Lustspiel (in dem man ist) in die Tragödie (in der man ist).“ Sagt Thomas Bernhard. Der umständliche Ton dieser Mitteilung kennzeichnet auch die Geschichten aus dem „Stimmenimitator“. Er erlaubt dem Dramaturgen keinen weiteren Einschub noch dem Zuhörer ein Abschweifen, saugt die Zuschauer ins Geschehen.
Betonte Nüchternheit der Schilderung füllt man in Gedanken mit Leben aus – daneben bleibt nicht viel Raum für anderes.
Auch nicht für Theater. Die Produktion im TamS gleicht in der Regie von Lorenz Seib daher eher einer szenischen Lesung. Die Aktion der Schauspieler muss sich fast notwendigerweise auf das Regal beschränken, das als stummer Mitspieler den Sidekick für die beiden Vorleser bildet. Mit allenfalls belustigter Gleichgültigkeit reagieren Sophie Wendt und Laurenz Claussen auf die Eskapaden ihres Regals, dieser Erinnerungswelt, die sich einfach nicht totschweigen lassen will.
Gepflegt zurückhaltend, im Ton eines Nachrichtensprechers, beginnt diese Lesung. Sie leitet hin zu partieller Verstörung. Im Voyeurismus, in der unsinnigen Lust am Grotesken, endet sie. Kurzweilig!
TamS Theater an der Haimhauser Straße, bis 12. Februar, mitwochs bis samstags jeweils 20.30 Uhr, Infos und Karten unter 089/34 58 90.