Zur Premiere von „Der Große Gatsby“ am Volkstheater

Zynisch ist das neue geistreich

von Barbara Teichelmann

Große Party im Haus des großen Gatsby: Lenja Schütze, Jakob Geßner, Max Wagner, Constanze Wächter und Pascal Flieg, Foto: Daniel Delang

So groß ist die große Welt dann doch nicht. Man feiert hier, trifft sich dort, golft, geht in die Revue oder fremd und fährt mit dem Cabrio nach New York. Bei alledem versucht man gut zu riechen, bezaubernd auszusehen und möglichst zynisch zu sein, denn zynisch ist das neue geistreich. Und da es so viele reiche, weiße Premiumamerikaner gar nicht gibt, bleibt man am liebsten hübsch unter sich.

Also hat Yvonne Kalles ein Podest und darauf ein offenes Rechteck aus neonberöhrten Stahlleisten in die Mitte des Raumes gestellt, an dessen Längsseiten das Publikum sitzt. Mehr braucht es nicht, um die begrenzte Welt dieser roaring Partypeople zu zeigen. Obwohl es weder Gitterstäbe, Showlicht, noch Glaswände gibt, wirkt die Bühnenkonstruktion wie eine Kombination aus Präsentierteller, Glashaus und Käfig. Mittig baumelt eine Schaukel von der Decke, sonst bleibt der Raum leer – und bietet umso mehr Raum für Fitzgeralds exaltierte Romanfiguren, die selbst für ausreichend Dekor sorgen.

Wer ist dieser Mann?

Für seine zweite Regiearbeit nach „Arabboy“ am Volkstheater hat Abdullah Kenan Karaca ­– Ex-Regieassistent von Christian Stückl und derzeit Regiestudent in Hamburg – den „Großen Gatsby“ zerlegt und zu einem unterhaltenden Abend arrangiert. Seine Interpretation „nach F. Scott Fitzgerald“ zeigt eine sinnvoll abgespeckte flotte Fünf-Personen-Version, die je nach Bedarf mit neuen Dialogfetzen und Zitaten versehen wurde und, wie die Vorlage, um die größenwahnsinnige Figur des Millionärs Gatsby und dessen Fetisch Daisy kreist: Wer ist dieser Mann, was treibt ihn an und warum hängt seine Seligkeit ausgerechnet an dieser Frau? Gut, sie ist blond und appetitlich, aber anstatt auf ihn zu warten, hat sie einen anderen geheiratet, der da und schon reich war. Jetzt ist auch Gatsby Millionär und fordert ein, was ihm seiner Meinung nach zusteht: die verpasste Vergangenheit und eine verdiente Zukunft mit Daisy.

"Ein echter Aktivposten"

Objekt der Begierde: Nach fünf Jahren trifft Gatsby (Max Wagner) wieder auf Daisy (Constanze Wächter), Foto: Daniel Delang

Am Anfang des Abends stellt sich Gatsby als „einfallsreich, kreativ, jung“ vor, kurzum „ein echter Aktivposten, den zu verlieren sich die Gesellschaft nicht leisten kann“. Dazu macht er ein denkbar gelangweiltes Gesicht, hebt einen Luftballon vom Boden auf, lässt ihn an seiner Brust zerplatzen und sinkt zu Boden. Es spricht also vieles dafür, dieser Selbstbeschreibung nicht zu trauen. Auch dem Nachruf des Aktienmaklers Nick, der ein lauwarmes Plädoyer gegen den Egoismus hält und dem toten Gatsby als „dem einzig Guten“ nachweint, kann man nicht folgen. Immerhin war Gatsby jedes Mittel recht, reich zu werden: „… nur die Gier ist gut“, sagt er und stellt sich damit neben Wallstreetbösewicht Gordon Gekko.

So gesehen ist Daisy auch nur ein parfümiertes Aktienpaket, das den Eigentümer wechseln soll, weil er das nötige Geld bietet. Mit Romantik hat das nichts zu tun, eher mit kapitalistischer Hybris. Ist Gatsby nun ein pathologischer Gierschlund, der letzte Romantiker oder ein hoffnungsloser Egozentriker? Nichts von allem und von allem ein bisschen. Und so kommt es, dass dieser Gatsby, gespielt von Max Wagner, als Figur schwer greifbar ist. Weil die Frage „Wer ist er?“ nicht wirklich beantwortet wird, kann man nicht verstehen, warum Gatsby will, was er will und dann wird es einem schnell egal, dass er überhaupt etwas will.

Was wiederum heißt: Der ganze Gatsby ist einem seltsam egal. Und weil man nicht versteht, warum Gatsby Daisy will, versteht man auch nicht, was Nick (Jakob Geßner), Daisys Cousin, an seinem Nachbarn Gatsby findet. Ist er naiv, ehrgeizig, einfach nur jung oder alles zusammen? Man weiß es nicht. Aber er scheint es zumindest ernst zu meinen, denn als Gatsby den eigenen Tod verleugnend noch immer auf Daisy wartet, will  Nick mit ihm in ein neues  Leben aufbrechen.

Das eigene kleine persönliche Gefängnis

Nachbar und Handlanger: Nick (Jakob Geßner) ist Gatsbys einziger Freund, Foto: Daniel Delang

Allein Daisy (Constanze Wächter), die so kapriziös wie eine rosa Wolke durch die Welt schwebt und gleichzeitig kalt berechnend agiert, wirkt stimmig in ihrer Ambivalenz. Ihre Figur funktioniert als Personifikation einer charakterlichen Bequemlichkeit, die das falsche Leben im Falschen in Kauf nimmt – Hauptsache der schicke Rahmen stimmt. In ihrer Welt zählt das, was man zählen kann, dann doch mehr als der Rest. Das kann man verstehen. Und so versteht man auch den Schlüsselmoment, in dem sie sich weigert – wie von Gatsby verlangt – die Ehe mit Tom als Fehler abzutun. Zwischen den zwei Männern in der Schaukel sieht es so aus, als säße sie fest in ihrem eigenen kleinen persönlichen Gefängnis.

Ein Mann, der sich für eine Frau neu erfindet. Eine Frau, die nicht weiß, was sie anfangen soll mit ihrem Leben. Was Daisy in Gatsby und Gatsby in Daisy sieht, ist für den Rest der Welt unverständlich. Man kann das Liebe nennen. Wenn man es wie Karaca nicht Liebe nennt, muss eine andere Motivation her. Hier ist es die Everything-goes-Attitüde des Selfmademan Jay Gatsby, der so ziemlich alles tut, um zu bekommen, was er haben will. Ich will, also bin ich. Verstanden. Bleibt trotzdem ein „Warum?“.

Volkstheater, 18., 28., 29. Oktober 2013, 20 Uhr, Karten unter Telefon 523 46 55

Veröffentlicht am: 17.10.2013

Über den Autor

Barbara Teichelmann

Redakteurin

Barbara Teichelmann ist seit 2011 beim Kulturvollzug.

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