Zwischen Wahrheit und Imagepolitur – Ein Bericht aus den Anfängen der Finanzkrise
[caption id="attachment_4925" align="alignright" width="94" caption="Bild: Kunstmann"][/caption]
50 Milliarden Euro. Ende Januar 2008, als uns so eine Zahl noch schocken konnte, wird bekannt, dass sich ein Händler der Société Générale ohne Rücksicht auf Verluste durch die Finanzwelt spekuliert hat. Die Bank gerät ins Wanken, die Finanzkrise streckt ihre Fühler aus. Jetzt legt Hugues Le Bret, damals Kommunikationschef der Société und enger Vertrauter des Bankchefs Daniel Bouton, einen fesselnden Bericht der Affäre vor.
Es ist eine anstrengende Lektüre, mit der Le Bret da auftaucht. Anstrengend deshalb, weil man am liebsten mit ihm vom Tag zu Tag hetzen würde, genauso rast- und schlaflos wie das kleine Team, das versucht den Zusammenbruch einer der wichtigsten französischen Banken zu verhindern. Gleichzeitig muss man aber immer wieder neu Abstand suchen, sich davor schützen, diesen Betroffenenbericht unreflektiert als die Wahrheit zu schlucken und unangebrachtes Mitleid mit den Managern zu entwickeln.
Le Bret beherrscht sein Handwerk, er ist ein absoluter Kommunkationsprofi. Seine Leser nimmt er mit in die verzweifelten Krisensitzungen, lässt sie glauben, zu den Teilnehmern zu gehören. Es scheint fast, als kämpfe da der letzte Rest des Guten auf Erden gegen den Untergang. Der wird beschworen von vielen Feinden - den Medien, der Politik, dem betrügerischen Händler Jérôme Kerviel und der übernahmefreudigen Konkurrenz der BNP Paribas. Zwischen allen Fronten kämpft der Chefkommunikator Hugues Le Bret. Sein Buch ist deshalb so spannend, weil er es schafft, einen Eindruck davon zu vermitteln, wie wichtig Kommunikation und Deutungshoheit in einer Krise sind, in der es vor allem um Vertrauen geht. Er macht deutlich, wie existenziell es ist, ständig die Stimmungslagen, intern wie extern, sensibel aufzunehmen, um Angriffe abwehren und Meinungen machen zu können. Dabei bietet er immer eine Schulter an, über die ihm die Leser schauen sollen.
Neben der Rettung der Bank und damit des Systems gibt es eine weitere Front, an der Le Bret mit ebenso großer Leidenschaft kämpft. Es geht ihm auch darum, mit diesem Buch seinen Vorgesetzten und Vertrauten Daniel Bouton zu rehabilitieren. Von allen als arrogantes Arschloch verschrien, bildet sich schnell eine Allianz gegen ihn, angeführt von Nicolas Sarkozy. Ehrfurchtsvoll stellt sich Le Bret vor das Genie Bouton, bereit die Schlachten von vor drei Jahren noch einmal mit aller Entschiedenheit zu schlagen - die wahren Helden und Schurken zu zeigen. Man kann ihm das nicht verübeln. Unbestritten war es das Krisenmanagement Boutons, das den Zusammenbruch der Bank verhindert und das Finanzsystem vorerst stabilisiert hatte. Den bisher versagten öffentlichen Respekt dafür kann man ihm gönnen - seine Überhöhung zum Unfehlbaren braucht man deswegen nicht mitmachen.
Le Bret erzählt seine Geschichte für ein breites Publikum, die komplexen Prozesse der Finanzwelt umgeht er, auf Fachchinesisch verzichtet er weitgehend. Stattdessen lässt er Menschen entscheiden, intrigieren, leiden und verzweifeln. Das reicht um klar zu machen, was genau in den Januarwochen 2008 passiert ist und noch hätte passieren können.
Ärgerlich nur, dass Le Bret permanent so tut, als wäre alles ein großes Unglück, vom Himmel gefallen und vom Händler Jérôme Kerviel in die Welt gebracht, der dann von den Medien zum Unschuldslamm stilisiert wird. Eigene Fehler? Fehlanzeige!
Viel zu selten hinterfragt der Autor das System, die Gier, die Verantwortungslosigkeit, die Rolle der eigenen Bank und ihrer Manager. Das ist schade, verhindert aber nicht, dass Hugues Le Bret einen fesselnden Bericht über die Ereignisse im Januar 2008 vorlegt. Daran werden auch Leser ihren Spaß haben, die den Wirtschaftsteil ihrer Zeitung sonst nur zum Schuhe ausstopfen verwenden.
Hugues Le Bret, „Die Woche in der Jérôme Kerviel beinahe das Weltfinanzsystem gesprengt hätte“ ist bei Kunstmann erschienen und kostet 18€.