Münchens klügstes Stadtviertel
Die südliche Maxvorstadt beherbergt sechs Hochschulen, 16 Museen und 30 Galerien: Ein „Wissenscluster“ von Weltrang – aber keiner weiß es. Als „Kunstareal“ soll es jetzt so berühmt werden wie die Berliner Museumsinsel.
„Man muss sich das mal vorstellen“, sagt Guido Redlich, „immer wieder stehen Touristen vor der Neuen Pinakothek und finden den Eingang nicht. Manche halten sie gar für ein Gymnasium.“ Redlich engagiert sich in der Stiftung Pinakothek der Moderne – und manchmal könnte er verzweifeln: München hat einen riesigen Schatz – aber keiner kennt ihn. Sophie Wolfrum kennt das Problem: „Erst gestern stand ich auf der Theresienstraße direkt vor den Museen. Da kam eine junge Frau und fragte mich, wo denn die Alte Pinakothek eigentlich sei.“ Die Professorin für Städtebau und Regionalplanung an der TU sagt: „Viele Institutionen sind einfach nicht sichtbar in der Maxvorstadt - für Touristen, aber auch für Einheimische.“
Seit etwa zwei Jahren gibt es deswegen eine Art große Allianz für die südliche Maxvorstadt. Politiker, Wissenschaftler, Kulturfunktionäre und Bürger wollen Münchens Schatz sichtbar machen. Dabei benutzen sie ein Zauberwort, auch wenn der Begriff noch etwas hölzern und buchstäblich künstlich klingt: Kunstareal. Unter diesem Signet soll künftig deutlich werden, dass München in der Maxvorstadt so viel Kunst, Kultur und Wissenschaft beherbergt, wie es das kaum ein zweites Mal auf der Welt gibt.
Auch Kunstminister Wolfgang Heubisch (FDP) versteht das Projekt Kunstareal als eines der wichtigsten Anliegen seiner Amtszeit: „Bei der Berliner Museumsinsel wird deutlich, dass Kultur in einem größeren Zusammenhang wahrgenommen wird. So etwas möchte ich auch für München erreichen. Das ist ein Projekt nicht nur für die Münchner Öffentlichkeit, das hat seine Bedeutung für ganz Deutschland und und wird weltweit wahrgenommen.“
Kunstareal. Noch kann sich kaum jemand etwas darunter vorstellen. Schon bei der Frage, wo dieses Kunstareal genau anfängt und wo es aufhört, scheiden sich die Geister. In seinem Kernbereich besteht es aus den Pinakotheken und deren Umfeld. Im Grunde reicht es aber vom Alten Botanischen Garten bis zur Ludwig-Maximilians-Universität und der Kunstakademie. Manche zählen sogar noch eine „Kunstmeile“ hinzu, die sich entlang der Prinzregentenstraße über das Haus der Kunst und das Bayerische Nationalmuseum bis zur Villa Stuck zieht.
Aber auch wenn man sich auf den Bereich der südlichen Maxvorstadt beschränkt, ist die Statistik imponierend: Rund um die „Königin der Galerien“, die Alte Pinakothek, befinden sich 16 Museen, sechs Hochschulen und 30 Galerien. Dazu kommen noch Kulturinstitutionen wie Amerikahaus und Siemens-Forum. „Das ist ein Wissenscluster, ein Kulturcluster!“, schwärmt Wolfrum. Und sie zählt auf, was in absehbarer Zeit noch neu dazukommen wird: Der Neubau für die Ägyptische Sammlung und die Hochschule für Fernsehen und Film, das komplettsanierte Lenbachhaus, der Neubau für das NS-Dokumentationszentrum... – „Da ist richtig was los“, so die Professorin. Die Maxvorstadt ist sozusagen Münchens klügstes Viertel.
Spannend ist, dass Wolfrum nun auch ihre Studenten auf das Thema Kunstareal losgelassen hat: In Dutzenden Diplomarbeiten wird nach neuen Lösungen und Ideen gesucht. Erste Ergebnisse? – Wolfrum: „Das Potenzial des Geländes der TU-Mensa ist riesig. Hier ist quasi die Mitte des Kunstareals, hier könnte ein neues Zentrum entstehen.“ Und außerdem rückt wieder die Brachfläche rund um die Pinakothek der Moderne in den Blickpunkt. Hier fehlt immer noch der sogenannte zweite Bauabschnitt des Museums, der für die Graphische Sammlung dringend benötigt würde.
Die TU-Studenten weisen in ihren Arbeiten nach, wie gut dieses Gelände zunächst auch mit temporären Bauten nutzbar wäre. Dann würde auch der Münchner Öffentlichkeit klar, dass die Pinakothek der Moderne bislang nur zur Hälfte fertig gebaut, also unvollendet ist.
Die Bürgerstiftung für das Museum arbeitet hier ohnehin unermüdlich: „Beim Fest zur Eröffnung des Türkentors als Ausstellungsraum haben wir erstmals Faltkarten verteilt, auf denen das ganze Kunstareal zu sehen war“, so Redlich. Fast alle Bürger hätten begeistert, aber auch erstaunt reagiert, berichtet der Marketing-Experte: „Aha, das wusste ich ja noch gar nicht“, sei die typische Reaktion der Münchner gewesen, wenn ihnen die Dimension des Projekts klar wurde.
Inzwischen hat es eine ganze Reihe von Veranstaltungen gegeben, die das Kunstareal zum Leben erwecken sollen, sowie eine von Minister Heubisch und dem Münchner OB Christian Ude gemeinsam angestoßene Arbeitsgruppe, die dafür sorgen soll, dass Staat und Freistaat an einem Strang ziehen.
Und wie vor einigen Tagen beim Lange-Nacht-Salon im Café Luitpold deutlich wurde, stößt demnächst noch ein weiterer, besonders großer Akteur ins Kunstareal vor: Siemens hat weitreichende Pläne, seine Konzernzentrale zwischenBrienner Straße und Altstadtring völlig umzugestalten und dabei auch öffentliche Wege hinüber Richtung Maxvorstadt neu einzurichten: Dies könnte ein ganz wichtiger Punkt sein bei dem bislang vergeblichen Bemühen, das Kunstareal über die Schneise des Altstadtrings hinweg an die Innenstadt anzubinden.
Überhaupt, der Verkehr: „Für mich ist der entscheidende Punkt, ob es gelingen wird, den überbordenen Verkehr auf Gabelsberger- und Theresienstraße einzudämmen“, so Minister Heubisch. Ohne diese Verkehrsberuhigung werde es nicht gelingen, das Kunstareal erlebbar zu machen. Stadträtin Monika Renner (SPD), Planungs- und Kulturexpertin, sagt: „Das Baureferat arbeitet gerade an einem neuem Leitsystem. Das Thema ist auf einem guten Weg. Ich bin guten Mutes, dass wir in diesem und im nächsten Jahr entscheidende Schritte vorankommen.“
Professorin Wolfrum sieht aber auch eine Gefahr: „Das Kunstareal besteht aus so vielen komplexen und zusammenhängenden Projekten, dass man man aufpassen muss, dass sie sich nicht gegenseitig blockieren oder bremsen.“ Und Stiftungs-Mann Redlich warnt: „Die ganze Diskussion darf nicht theoretisch bleiben, das muss für die Bürger sichtbar und erlebbar sein!“ Er meint aber auch: „Der Prozess ist jetzt wirklich angeschoben, das Bewusstsein in der Bevölkerung wächst ständig. Das Kunstareal ist nun in der Welt und kann nicht mehr ignoriert werden.“ Und Wolfrum ergänzt: „Da passiert so viel, das kann gar nicht mehr im Dornröschenschlaf versinken.“
Für die Spezialisten: Der Kulturvollzug dokumentiert zwei besonders gelungene aktuelle Diplom-Arbeiten zum Thema Kunstareal, die an der Technischen Universität München erstellt wurden.