Butoh mit Yoshito Ohno im i-camp

Der Tod muss zusehen, wenn die Schleusen der Deutung gesprengt werden

von Michael Wüst

Yoshito Ohno. Foto: Kazuo Ohno Dance-Studio Tokyo

Münchens Butoh-Gemeinde wurde beglückt. Stefan Marria Marb und Axel Tangerding brachten in Verbindung mit der Tanztendenz München und mit Unterstützung des Kulturreferats einen Top-Star des dunklen Tanzes, Yoshito Ohno, den Sohn des Butoh-Gründers Kazuo Ohno, ins i-camp. Top-Star? Ist das passend gesagt? Und unten: die Fans? Wäre Meister und sein Kreis besser?

Als einen Meister ohne Kreis sah sich der Dichterfürst Stefan George, gab sich stets verschlüsselt, eine unleserliche Gottheit im Dichternebel und doch eitel schwelgend in der Anbetung seiner Jünger, die unentwegt an seiner Exegese werkelten. Kalkulierte Guru-Strategie. Wieso hatte man diese Assoziation, bei den ersten Schritten ins Foyer des i-camp? Und sah den befugt Wuselnden zu, wie sie mit schnellen Schrittchen den Raum durchquerten? Drinnen im Theaterraum wurde offensichtlich bis zur letzten Sekunde geprobt. Etwas Unerhörtes?

Allerdings, wenn man Yoshito Ohno sprechen hört, und vor allem: ihn auf der Bühne erlebt, wird klar, dass dies ein Meister ohne Strategie ist. Sein Kreis? Er kann's wohl kaum ändern. Vielleicht nicht einmal ein Meister? Nein, besser schweige man darüber.

Zu verstehen gibt es dies, und es ist notwendig, um nicht auf eine falsche Rezeptionsfährte zu geraten: Butoh ist ein Weg des Unmittelbaren. Und paradoxer Weise funktioniert dies in einer absolut manirierten Haltung. Dabei geht der Körper ständig dem Grenzwert der Bewegungslosigkeit entgegen. Einer Bewegungslosigkeit, der nur im Unendlichen begegnet werden kann. Geboren aus dem Ausdruckstanz einer Isodora Duncan, ist Yoshito Ohno dennoch ihr Gegenteil. Eine Wandlung wie diese konnte nur unter der Zeugenschaft tausender symbolischer Tode geschehen.

Es präsentiert sich ein Körper, auf dessen Oberfläche keine Darstellung mehr möglich ist. Diese Transformation geschieht einzig zu dem Zweck, die Schleusen der Deutungen zu sprengen, die Regeln der Semantik abzuwerfen, dem Publikum die Option der Interpretation zu nehmen. Was aus diesem Körper über die Augen, den Mund, die Hände kommt, ist unerhört und ungesehen, sehr schwere Kost und verweigert sich der Begrifflichkeit. „Letter, adressed to future me“, war ein Abend unmittelbaren Theaters. Langer, enthusiastischer Beifall.

Veröffentlicht am: 13.03.2014

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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