"Die Radiofamilie" bei Radikal Jung im Volkstheater

Eine frühe Bachmann - Hühnerüberfall in Purkersdorf

von Jan Stöpel

"Die Radiofamilie": Lisa-Katrina Mayer, Susanne-Marie Wrage, Sarah Hohstetter, Sean McDonagh und Klaus Brömmelmeier. Foto: Raphael Hadad

Jugendsünde oder frühes Meisterwerk? "Die Radiofamilie" des Schauspielhauses Zürich, zusammengestellt aus frühen Hörspieltexten von Ingeborg Bachmann, bietet wunderbares Theater. Und lässt doch ein ganz leichtes Gefühl der Sehnsucht übrig: Ein König-, nein, ein Österreich für einen Schluss!

Irgendwo dort, in diesem Gewirr aus Frequenzgeräuschen, aus Rauschen, Pfeifen und Wortfetzen müssen sie doch noch zu finden sein, eine Adresse haben ähnlich ihrer Adresse in Wien, Taubengasse, irgendwo am Rande der Josefstadt. Eine Adresse ist das, es gibt sie nicht auf dieser Welt und gibt sie doch: In unser aller Leben, als völliger Durchschnitt.

Mélanie Huber hat am Schauspielhaus Zürich ein Stück Rundfunkarchäologie betrieben und sie ins Leben zurückgeführt - die "Radiofamilie", deren ganz alltägliches Leben in den 50er Jahren in Österreich die Menschen so begeisterte, dass sie von einem vierzehntägigen auf einen wöchentlichen Senderhythmus umgestellt wurde. Und das immer samstags. Prime Time nicht vorm Fernseher, sondern am Volksempfänger! Lange Zeit, genauer bis 2011, war nahezu unbekannt, welches literarische Schwergewicht da mitgemacht hatte: Ingeborg Bachmann hatte dem trivialen Format anfangs der 50er Jahre ihre Feder geliehen, für immerhin 15 Folgen. Was sie später stets verschwieg, aus Scham vielleicht, sie, die Lyrikerin.

Aus den Folgen hat Stephan Teuwissen eine Bühnenfassung erstellt, die der jungen Regisseurin Mélanie Huber einen Traum ermöglichte: "Helden des Alltags" auf die Bühne zu bringen, und das so absichts- und ehrgeizlos wie möglich. In "Die Radiofamilie" spielt der Muff im Nachkriegsösterreich eher als Hintergrundrauschen mit. Und von den Spätfolgen des Anschlusses am Heldenplatz bekommt man gar nichts mit, sieht man von ein paar verwehten Heil, Heil-Rufen am Anfang ab. Ja, und Helli liest zu Beginn das Horoskop aus der Zeitung vor: "Die im Zeichen der Jungfrau Geborenen neigen jetzt zu wehmütigen Erinnerungen an vergangene Zeiten." Das war's dann auch, mehr muss auch gar nicht, wunderbares Theater gelingt durchaus auch ohne irgendwas mit Hitler. Zum Beispiel mit so einem grandiosen Bühnenbild (Nadia Schrader): Wir sehen ein Zwischending aus Wohnung und Apparate-Innerem, auf Höhe des ersten Stocks von einer Mittenwellenskala durchzogen. Darauf schwebt, von Seilen bewegt, die von den Spielern wie beim Flaggenappell betätigt werden, ein roter Skalenbalken hin- und her:

Sarah Hofstetter, Klaus Brömmelmeier, Susanne-Marie Wrage und Sean McDonagh. Foto: Raphael Hadad

Die Radiofamilie auf ihrer Reise durch die Wellen.

Mit seinen Möbeln und seinen seltsamen geometrischen Tapeten (sieht irgendwie aus wie Dönerspieße auf grünem Hintergrund) entführt die Bühne einen flugs in die Fünfziger. Auch die Klamotten passen trefflich (Kostüme: Ramona Müller). Wir sehen mit Klaus Brömmelmeier, Sarah Hostetter, Lisa-Katrina Mayer, Sean McDonagh und Susanne-Marie Wrage ein hinreißendes Ensemble, das mühelos die Rollen wechselt: Auch im Radio haben die Stimmen schließlich keine Gesichter. Die muss man sich schon selber ausdenken. Hubers Regie verbindet die Bachmannschen Episoden zu einem blassbunten Bilderbogen aus längst vergangener Zeit und entlockt ihnen eine Musikalität, die Bachmann womöglich selbst nicht bewusst war. Die Fünf sprechen Rollen, machen Geräusche, ahmen Tierlaute nach - und singen ganz berückend. Ob der Spiegel schief hängt oder beim Geburtstagsausflug zur Tante in Purkersdorf die Hühner die Sacher-Torte zerstören - es gibt immer wieder mehrstimmigen, schönen Gesang: Banalstes ist in diesem Parallel-Leben schon einen Choral wert.

Man könnte das anschauen, immer wieder und auch länger, warum auch nicht, das Ganze treibt so dahin, ohne rechte Entwicklung, ohne Krise, ohne Ziel. Es ist dies die einzige fassbare Schwäche der Züricher Inszenierung: dieser Mangel an Entwicklung. Die "Radiofamilie" bleibt Episodentheater. Führt uns aber irgendwie in ihrer Zeit doch auch die unsere vor. Oder was hat es zu bedeuten, dass man danach ernsthaft über die Bedeutung des Wortes "Spießbürger" nachdenkt oder darüber, ob das Wort "Muff" nicht vielleicht doch nur ein anderes Wort für "Wärme" war? Ferne Zeiten jedenfalls, in denen das Radio das mediale Lagerfeuer für die gesamte Familie war. Haben wir seitdem so viel dazu gewonnen?

 

Veröffentlicht am: 10.04.2014

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