"Kaspar Hauser" mit der Kammeroper im Hubertussaal
Ein gefundenes Märchen für die Gesellschaft
Hausers Zeitgenossen (die Sänger der Münchner Kammeroper) wissen viel Kluges über den Findling zu sagen. Foto: Sabina Tuscany
Ein Protagonist, der kaum spricht und sich mit dem Gehen schwer tut – ein gewagter Stoff für eine Oper. Viel hängt in so einem Fall von der Qualität der Inszenierung ab. Mit Einfallsreichtum und Eleganz meistern Regisseur Dominik Wilgenbus und Arrangeur Alexander Krampe diese Herausforderung in der Oper „Kaspar Hauser“. Die jungen Solisten und das Orchester der Münchner Kammeroper überzeugen mit ausdrucksstarkem Gesang und präzisem Spiel.
Die Geschichte des jungen Mannes, der 1828 auf dem Nürnberger Unschlittplatz erschien und Kaspar Hauser genannt wurde, umgab zu allen Zeiten die Aura des Fremden und Geheimnisvollen. Wahrheit und Fiktion überlagerten sich in der Figur des "Findlings", wie er seinerzeit genannt wurde, der nicht wusste, woher er kam und wer er war. Das Libretto von Dominik Wilgenbus baut diesen Aspekt aus, indem es in die Handlung eine Märchenebene einzieht. Ein schlichtes, rechteckiges Gerüst, das die kleine Rundbühne im Hubertussaal ausfüllt, wird zur Staffage für eine weiße Leinwand, hinter der Frosch, Pferd und Prinzessin Kaspar Hausers Leben und Träumen mit Märchensequenzen durchsetzen. Nicht jedes Detail der Inszenierung von Regisseur Wilgenbus bemerkt man auf Anhieb, dem Gesamteindruck tut das aber keinen Abbruch. Was hier im Hubertussaal des Nymphenburger Schlosses gefeiert wird, ist die Atmosphäre, das Verschwimmen von Traum und Realität.
Auf dem Weg, Mensch zu werden
Franz Schuberts melancholisches Liedrepertoire, das Alexander Krampe mit Schlüsselsätzen aus der Kaspar-Hauser-Geschichte neu vertextet hat, bilden dafür einen zauberhaften Klangrahmen. Und doch hat die Oper ihr Thema, das sie über die ganze Inszenierung hinweg bearbeitet: Kaspar Hauser, der alle bekannten Kategorien seiner Zeit sprengt, der „Nicht Kind, nicht Mann“ ist, wie es im Stück heißt, macht sich auf den Weg, Mensch zu werden. Von einer kindlichen Ernsthaftigkeit geprägt und mit großen, neugierigen Augen spielt ihn der portugiesische Bariton André Baleiro. Zur Melodie von Schuberts „Forelle“ singt er den ersten Satz, den Kaspar Hauser stammelte, als er 1828 in Nürnberg erschien – „Ein Reiter möchte ich werden, so wie mein Vater war!“
Auf seinem Weg durch die bürgerliche Gesellschaft wird der junge Findling zu eben deren Spiegel. Geschickt verdichtet Wilgenbus, der auch das Libretto geschrieben hat das aufkeimende psychologische Interesse des 19. Jahrhunderts in der Figur Kaspar Hausers. Alle wollen sie ihren Abdruck hinterlassen in der menschlichen Wachstafel, die der Findling darstellt– der beurlaubte Pädagoge Daumer, der Rechtsgelehrte Feuerbach, der Weltreisende Lord Stanhope. Indem der junge Kaspar von ihnen erzogen wird und ihre Art zu sprechen erlernt, stellt er zugleich auch das Floskelhafte dieser Gesellschaft aus. Die Aussetzer in den Endreimen, in denen Kaspar schon bald spricht, entlarven die Zerbrechlichkeit dieser Welt.
Gefühlvoll, nicht kitschig inszeniert
Wilgenbus‘ Inszenierung bleibt bei alledem unaufdringlich und dezent. Immer wieder schafft sie es mit Nabil Shehatas umsichtigem Dirigat, das Publikum in einen Zustand schwerelosen Zaubers zu versetzen. Etwa, wenn sich in einer Märchensequenz Kaspar und die Prinzessin als Schattenrisse hinter einer weißen Leinwand begegnen. Gefühlvoll, aber niemals kitschig zeichnet die Oper den Weg des Findlings nach, auf dem er verschiedene Stationen des Menschlichen erkundet. Die Arie „Oh wie schön ist diese Welt“, bei der die Decke des Hubertussaals zum Sternenhimmel wird, ist eine der Glanzparaden des Baritons Baleiro. Wie Raum, Klang und Inszenierung hier zu einer Einheit finden, das ist großes Musiktheater in der Kammeroper.
Thomas Jordan
Die Oper „Kaspar Hauser“ ist noch bis zum 13.9. 2014 im Hubertussaal des Münchner Schloss Nymphenburg zu sehen. Mehr Infos unter www.kammeroper-muenchen.com