Junge israelische Kunst auf der Praterinsel
Starke Frauen zeigen viel Tel Aviv und wenig Jerusalem
Über ein Jahr lang haben die israelische Kuratorin Lee-More Kohen und die Münchner Ausstellungsleiterin Marlène Sternbaum ihr komplexes Unterfangen vorangetrieben. Das Resultat ist nun zu sehen: 285 israelische Künstler zeigen 1005 Werke in Art Works, einer Verkaufsausstellung der Superlative. Zollgewölbe, Füllhalle und Orangerie der Praterinsel sind randvoll mit Gemälden, Fotografien, Skulpturen, Plastiken und Installationen. Klares Ziel ist es, den Bekanntheitsgrad von Israels üppiger Kunstszene zu steigern und einen Absatzmarkt zu schaffen. Die Initiatorinnen konnten bei der Planung natürlich noch nicht ahnen, dass ihre Ausstellung mitten in eine hochexplosive Nah-Ost Lage hineinfallen würde.
Die Versuchung liegt somit aktuell besonders nahe: Der voyeuristische Betrachter möchte die Seelen der Bilder und Skulpturen ergründen; er möchte Hintergründe und Traumata einer Künstlernation entdecken, die mit ihrer Kreativität in einer der fragilsten geopolitischen Regionen der Erde klarkommen muss.
Genau diese Erwartung wird aber zumindest vordergründig enttäuscht: Es geht nicht in plakativer Kalaschnikow-Manier um Angst, Schrecken, Fanatismus und Tod. Man muss subtiler hinsehen, in die zweite Reihe. Die Emotionen werden nicht mit depressivem Gestus vor die Füße des Betrachters geworfen. Es handelt sich vielmehr um einen Rückzug, um einen Wunsch nach Geborgenheit und Normalität. Es ist daher in der Ausstellung mehr das laizistische, unbeschwerte und bunte Lebensgefühl Tel Avivs zu spüren als die beklemmende Stimmung in Jerusalem. Eine Anmutung, dies vielleicht.
Zudem wird die fortschrittliche Gleichberechtigung der Gender in der israelischen Gesellschaft deutlich. Unter den 285 Künstlern befinden sich 128 Malerinnen zu vergleichsweise nur 41 männlichen Malerkollegen. Ähnliches gilt für die Fotografen, es sind 22 Fotografinnen und 16 Fotografen als ausstellende Künstler vertreten.
Das Werk „Woman“ von Adir Dvora kommt daher im ersten Moment plakativ provokant auf den Betrachter zu. Im großformatigen Stil weben sich die Stoffe von Burkas in vielfältiger Form und Farbe wie Wogen eines stetigen Flusses ineinander - stark und geschlossen. Es strömt Anonymität aus der Bildsprache, geisterhaft verschleiert, gesichtslos schreien die Gestalten, es klingt laut und gleichzeitig tonlos. Auf den zweiten Blick entspringen den Wogen der echten Stoffe Fremdkörper, die in ihrem Ausdruck körperlicher nicht sein könnten. Schwarz-rote Reizwäsche, nackte Gliedmaßen, ein Hintern nur mit einem kleinen Fragment aus Tanga und nackte Schenkel, lediglich mit ebenso schwarz-roten Strapsen bekleidet.
Es bleibt dabei offen, ob es sich bei der Darstellung um die Emanzipation der namen- und gesichtslosen Frau oder um deren Sexualisierung und Ausbeutung handelt. Die Gliedmaßen jedenfalls erscheinen nicht als Fremdkörper in dem Netz aus Schleier und Anonymität. Eingebettet in Form und Farbe scheinen sie einen aufgenommenen und internen Bestandteil der scheinbaren Asexualität des unförmigen Deckgewandes der Frauen darzustellen. Sie wirken als Teil davon, in das Bild integriert. Als ob dem Betrachter kontrastreich eröffnet werden soll, was sonst von Stoffen und Gewand verborgen gehalten wird.
Zudem sollte man die Fotografien von Ziv Kohen und Shlomi Nissim besonders hervorheben. Da steht eine gewöhnliche Kuh, entrückt und wie herausgerissen aus einer fiktiven satten Weidelandschaft mitten in der Meeresbrandung. „Glory Days“ nennt Shlomi Nissim seine Fotografie. All seine Werke sind ein Spiegelbild der Verzweiflung über die Eroberung der Natur durch den Menschen. Er sehnt sich nach einer Rückkehr zum Anbeginn der Zeiten, zu einem Moment, der vor dem Siegeszug der Moderne über die Natur liegt.
Gerade die Leichtigkeit und Normalität einer Nation im Ausnahmezustand wird auch von anderen Künstlern thematisiert. Ein Rabbi nutzt die Kaimauer des Hafenbeckens vor Ziv Korens Linse auf einem Einrad als persönliche Überholspur, gekleidet im traditionellen Businessoutfit. Aktenkoffer und eine Familie im Hintergrund runden die ordinär-unbeschwerte Schönwetterstimmung ab.
Kontrastreich dazu hat sich auf einem weiteren Werk des Kriegsfotografen ein Kind vor den Soldatenreihen des Militärs aufgebaut, der zu kurze Arm stützt sich auf die bunt-skurrile Plastikwaffe. Zu klein, um den Lauf des Gewehrs richtig zu fassen steht der Junge da, unkindlich ergeben, es scheint fast als ob ungeschriebene Gewichte des Künftigen die Schultern der jungen Generation niederdrücken.
Anhand der Fotografien wird deutlich, dass militärische Präsenz und Einsätze auch unabhängig vom akuten Kriegsgeschehen einen Alltag des Landes darstellen. Diese werden höchstens als befremdlich, nicht jedoch als ungewöhnlich empfunden.
Die Künstlerin Sharon Rashbam Prop setzt sich mit ihrer Vergangenheit auseinander, ihrer und der eines erheblichen Teils der frühen israelischen Siedlungsgeschichte. In bleichem Blau vor der fahlen Schwärze der Nacht reihen sich die namenlosen, die ausgegliederten Kinder einer Nation. In Reih und Glied wirken sie wie Häftlinge, nur in Unterwäsche gekleidet, verletzlich, ohne Hab und Gut, welches sie ihr Eigentum nennen können. Sie sind mit Nummern versehen, die Künstlerin selbst bekam in ihrer Kindheit die 16 in Grau. Das Werk „Alone Class“ ist nur eines von vielen ihrer dicht gedrängten, namen- und gesichtslosen Kinder ohne Identität. „Night Animals“ überfallen daneben fratzenhaft das Mädchen, ihre Klauen und Zähne greifen aus der Hölle nach den Schlafenden. Es wird niemand kommen, der sie beschützt.
Zur Zeit der Gründung des Staates Israel lebten etwa acht Prozent der Bevölkerung in einem Kibbuz, einem sozialistischen, klassenlosen und zionistischen Zusammenschluss von Bürgern, welcher den Aufbau eines reibungslosen jüdischen Arbeiterstaats ermöglichen sollte. Die Kinder wurden dabei von Geburt an in einem Kinderhaus mit Gleichaltrigen erzogen, die Geschwister getrennt, der Kontakt zu den leiblichen Eltern war auf wenige Stunden wöchentlich beschränkt. Dabei gab es kein Alleineigentum, keine emotionale Bezugsperson, keinen Rückzugsort. Diese Sehnsucht nach Identität, Wärme und Geborgenheit strömt aus den eisigen, anonymen, roboterhaft-mechanisch funktionierenden Werken von Sharon Rashbam Prop.
Auch wenn 285 israelische Künstler ebenso viele Stile, Sprachen, Gefühle und Ausdrucksformen transportieren, so haben sie doch eines gemein: Sie propagieren den israelischen Laizismus, ebenso wie den Wunsch nach Frieden und Harmonie in ihrem ambivalenten Umfeld und erzählen dabei ihre eigene Geschichte. Häufiges Motiv ist der menschliche Körper. Er steht als Sinnbild künstlerischer Gegenbewegungen zur unkörperlichen Gedankenwelt orthodoxer Religionen. Die Ausstellung ist nicht laut, sie ist auch nicht schrill oder provokant. Klischees werden selten erfüllt. Aber die Ausstellung vermittelt eine Ahnung, was die israelische Kunst wirklich bewegt. Auch wenn sich das meist in sehr leisen Tönen äußert.
Nadine Rasthofer
"Art Works - junge israelische Kunst auf Welttournee", 11.-15. September 2014 auf der Münchner Praterinsel. Infos auch über http://artworks-munich.com/