"Lob der Realität" von PeterLicht
Der Suchende wird sichtbar
PeterLicht gelang 2001 mit dem Underground-Song „Sonnendeck“ ein unerwarteter Charterfolg. Seitdem arbeitete das einstmalige Phantom der deutschen Literaturszene fleißig an deutschen Theaterhäusern wie den Münchner Kammerspielen, dem Berliner Maxim Gorki Theater oder dem Schauspielhaus Köln – und macht weiter deutsche Popmusik. Seine aktuelle Live-Doppel-CD „Lob der Realität“ (Staatsakt/Rough Trade) hat er per Crowdfunding gleich von Fans mitproduzieren lassen, weil ihm sein Hauslabel zuvor den Plattenvertrag gekündigt hatte. Vor wenigen Tagen ist das neue gleichnamige Buch des 3sat- und Ingeborg-Bachmann-Preisträgers (2007) erschienen. Parallel tourt er gerade durch die Republik und macht am 12. Dezember Halt in München („Schwere Reiter“). Höchste Zeit für einen Realitätscheck.
PeterLicht bleibt sich treu, indem er sich permanent untreu wird: Noch 2009 wollte sich der Kölner Sängerbarde vom Autor dieses Textes für den Beitrag zu einer SR-Kultursendung partout nicht filmen lassen, als gerade in Saarbrücken sein Text für den Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb „Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des Dritten Jahrtausends“ erfolgreich für die Bühne adaptiert worden war. Mehr als ein Telefoninterview war damals nicht drin, weshalb im fertigen Fernsehbeitrag anschließend nur sprechende Glühbirnen als Visualisierung seiner O-Töne zu sehen waren.
Mittlerweile ist das ganz anders: Erst kürzlich ließ sich PeterLicht nicht nur für ein „aspekte“-Portrait wie selbstverständlich ablichten – sondern erschien auch zur Überraschung der Netzgemeinde als Studiogast im ZDF. Aus dem einst scheuen Popliteraten mit der lichten Sängerknabenstimme und echtem Szene-Hintergrund ist spätestens seit 2014 eine ernsthafte Künstlerpersönlichkeit geworden. Ob in der "Zeit", dem "Spiegel" oder in anderen überregionalen Feuilletons: Fast jeder Kulturteil setzt sich heutzutage mit dem Sprachstil PeterLichts auseinander; längst werden seine Liedtexte in Universitäten diskutiert und Proseminararbeiten über das vielschichtige Oeuvre des rheinischen Multitalents (Musiker, Literat, Regisseur, Dramaturg, Produzent) verfasst. Woran liegt das?
Es liegt wohl daran, dass PeterLicht seiner Zeit anscheinend jedes Mal ein Stück weit voraus zu sein scheint und er wie kein anderer deutschsprachiger Musiker die gegenwärtige Befindlichkeit in heiter ironische Text-Kunst-Werke zu übersetzen imstande ist. So auch in seinem eben erschienen neuen Buch: „Lob der Realität“. Wo sonst treten Musiker auf, die Songs an Bauunternehmer verscherbeln, existieren selbsternannte „Krisenverkäufer, die Krisenkisten verkaufen“ oder sinniert das literarische Ich offen darüber „wo die Realität regiert“, weil doch permanent „das Absurde Konjunktur hat“.
PeterLicht greift in seinem neuen Werk euphorisch die früher einmal selbst formulierte Parole „Wir werden siegen!“ aus seinem „Buch vom Ende des Kapitalismus“ (2006) abermals auf: In seinen skurrilen Textgebirgen ist überhaupt nichts mehr von der depressiven Stimmung aus dem Album „Melancholie & Gesellschaft“ (2008) zu spüren. Er bleibt dagegen ganz deutlich auf dem Kurs seines uplifting Indie-Albums „Das Ende der Beschwerde“ (2011) und scheint nun tatsächlich seinen Frieden in der neoliberalen Krise-nach-der-Krise-Welt von heute gefunden zu haben.
Er zelebriert das „Lob der freien Welt“, schwärmt im Gefühlsrausch von der neuen Realität („Was waren wir in Liebe!“) und wünscht sich deshalb keinen „Depressionsstaat“ mehr, auch keinen „Angststaat“, keinen „Egostaat“ und erst recht keinen „Geldstaat“. Neu ist nicht nur die überbordend positive Haltung des literarischen Ichs („wir gesalbten Krisenjünglinge und –mägde“), sondern auch der ungewohnt philosophische Ton, der die deutsche Gegenwartsstimmung im Grunde perfekt katalysiert: „Erst morgen werden wir wissen, wie glücklich wir heute waren.“
In den besten Momenten dieser, wie früher schon, eigentlich völlig ungeordneten Sammlung literarischer Aperçus, brilliert der Autor mit lakonischem Humor: „Wie war es in Hamburg? – Ich antwortete: Es gab Wodka und es war heiß, und das Leben ist ein Rätsel.“ Dazu hat PeterLicht, wie ebenfalls schon in den vorherigen Textbändchen, quasi einige seiner selbst gezeichneten Neurosenbilder eingeschoben, die vom Gestus her stets zwischen Freud’scher Couch und Valentin’scher Groteske schwanken. Ob Pseudo-Kinder-Bilder oder streng analytische Seelendoktorstriche – das bleibt charmanterweise immer auch der Assoziationskraft des Lesers überlassen. In einer Zeichnung zieht ein junger Mann beispielsweise beim Versuch, einen möglichst dicken Fisch aus dem Meer zu ziehen, gleich den Stöpsel vom Meeresgrund mit nach oben – und so jagen ihm die Unterwasserbewohner urplötzlich hinterher: vertauschte Rollen.
An anderer Stelle schimmert natürlich trotz aller Euphorie, wie schon so oft im früheren Werk des elegant grotesken Sprachakrobaten, die unbändige Lust an der Utopie durch: „Ich will das alles nicht. Ich will so: dran sein an meinem Leben. Jeder Moment, der vergeht, ist ein wahrhaftiger, denk ich mir. Und ich bin draußen. Ich möchte nicht Teil sein von diesem Hin und Her. Ich möchte raus aus dem System.“ Der Geist der Anarchie kehrt deswegen mit zunehmender Lesedauer auch im „Lob der Realität“ wieder, weshalb ein zynischer Gruß an „Unsere Freunde von der unorganisierten Unvergesslichkeit (NSA oder wasauchimmer)“ natürlich nicht fehlen darf, die der Autor am liebsten sofort ausschalten würde. Zumindest im Kopf. Auch der Fall des Edward Snowden wird in einer der nachdenklichen Gedankenskizzen humorvoll nacherzählt.
In seinen Liedern wie in seinen Theatertexten bleibt PeterLicht weiterhin ein Suchender innerhalb der Wirklichkeit, einer, der die Hoffnung auf das gute Ende trotz Finanzmarktmisere und offenkundiger Sinnentwertung im Industriesektor („Es wird produziert. Und wir wissen gar nicht, wer produziert, Dass WIR es sind bezweifeln wir“) nie richtig aufgegeben hat: „Das ist bloß eine Idee. Eine Möglichkeit. (...) Nur was möglich ist, ist wirklich schön. Was noch nicht da ist. Der Traum vom Leben ist schöner als das Leben.“ Und erbeweist an vielen Stellen seine nach wie vor ungebrochene Liebe zur deutschen Sprache („Es schäumt im Welt-Ohr“) wie zum Sprachwitz. Herrlich leicht formuliert zum Beispiel in einer Kurzgeschichte über Herrenunterbekleidung („Der Hosengott“). Als praktischen Ratschlag für ein erfülltes Dasein, nicht nur als Leser, sieht man kurz danach die unkenntlich gemachte Kopie eines amtlichen Schreibens an den Schriftsteller PeterLicht, das der wiederum zur Urkunde über den „Sinn des Lebens“ umgemodelt hat: „Ausschlafen, eine gemütliche Wohnung haben.“
Ähnliche spitzfindig lesen sich die kleinen Typologien („performing Arzt“) und zeitgenössischen Dialoge, die sich PeterLicht entweder tatsächlich direkt von der Straße geholt oder schlichtweg aus förmlichen Dokumenten zusammengebastelt hat: Jeder bekommt da sein Fett ab. Ob Schriftsteller, Politiker, Leser oder „Journomeute“, mit jeder Gruppe geht er literarisch ebenso hart wie heiter ins Gericht: „Mensch: Was machen Sie denn beruflich? – Künstler: Ja, ehm... Ich... ich bin Künstler. – Mensch: Künstler! Verstehe, ... kann man denn davon leben!? – Künstler: Eh ja, ... der Mensch lebt ja nicht vom Leben allein.“ Großartige Miniaturen über Sinn und Unsinn des (künstlerischen) Alltags hat PeterLicht da verfasst; gleichsam voller Augenzwinkern wie Ernsthaftigkeit – und schiebt ein wenig später in Anlehnung an den berühmten Fragebogen von Max Frisch gleich seinen eigenen („Existieren Sie noch, wenn Sie schlafen?“) hinterher. „Das Neue ist, dass es das Neue nicht mehr gibt“, stellt der Autor zwischendrin genauso kühn wie erhellend fest. Aber wenigstens gibt es noch ihn, möchte man ihm da fast schon zurufen, angesichts zahlloser wöchentlicher Neuerscheinungen. Denn am Ende träumt PeterLicht in mehr als 200 Seiten von einem „KONZERN der Liebe“. Und manch Leser mit ihm. Es gibt wahrlich schlimmere Aussichten.
Simon Hauck
PeterLicht: "Lob der Realität“ (Buch), erschienen im Oktober 2014 im Blumenbar Verlag (im Aufbau Verlag Berlin/gebunden 240 Seiten/ISBN: 978-3-351-05016-0/18,00 EUR) und gleichnamiges Live-Album (Doppel-CD) beim Label Staatsakt / Rough Trade (2014/ca. 15,99 EUR)