Ballett "Lauda" in der Michaelskirche

Loblied auf den Tanz und das Leben

von Isabel Winklbauer

Norbert Grafs Pas de Deux vor dem Altar, mit dem Ensemble in der Weite. Foto: Franz Kimmel

"Wenn wir die Prüderie des 19. Jahrhunderts abschütteln, können wir den Tanz als spirituelle Ausdrucksform annehmen ...  Im Tanz formt die Seele den Körper bis in die Spitzen, und in unserem Körper wohnt ein göttlicher Geist." Philosoph und Jesuit Godehard Brüntrup hielt in der Michaelskirche eine flammende Rede für den Tanz. Schon im Barock habe es ja Schauspiel und Tanz in der Kirche gegeben, sagte er. Diese Tradition nehme die Gesellschaft Jesu jetzt, im Jubiläumsjahr ihrer Wiedererrichtung, mit Norbert Grafs und Simone Sandronis "Lauda" wieder auf.

Mit den Choreografen des Bayerischen Staatsballetts kam dessen Junior Company sowie das britische Gavin Bryars Ensemble in die Grabkirche Ludwigs II. Die szenische Möglichkeiten Sankt Michaels sind fantastisch: Hinter der Bühne fällt der Blick weiter durch den Chor bis auf den prunkvollen Hochaltar, so dass die Perspektive sozusagen in die Unendlichkeit reicht. Über die Akustik des Spätrenaissance-Baus dürfen sich Gavin Brayars an Bass und Klavier, Sängerin Orlanda Bryars, das Ensemble und die Zuschauer herzlich freuen. Der Tanz wiederum fügt sich als Universalsprache und Gebet so fließend in die Umgebung, als wäre er nie irgendwo anders zuhause gewesen als in der Transzendenz.

Isidora Markovic und Alexander Bennett im Sandroni-Duett. Foto: Franz Kimmel

Nicht als Menschen, sondern als zeitlos dahin schreitende Allegorien von Menschen betreten die Mitglieder des Staatsballetts II den Raum. Orlanda Bryars führt sie in einer Gesangsprozession zur Bühne, hin zu Alisa Bartels, die dort schon im silbernen Hemd wartet. Eine Art Madonna? Ganz klar wird es nicht in Norbert Grafs Choreografie zu "Lauda 1" und "Lauda Dolce 1" (Bryars schrieb 45 Laude). Die junge Solistin wird von ihren Mittänzern geschubst, überrannt und zu Boden gedrückt, vereint mit unbeugsamer Haltung und klarem Blick letztlich aber alle im Tanz um sich.

Zum Duett von Pauline Simon und Carl van Godtsenhoven schickt Graf die Gruppentänzer in den Chorraum. So entsteht ein charmanter Eindruck von Weite, und auch von Zufall - als ob die Zuschauer einem Spektakel beiwohnen, das auch ohne sie stattfinden würde. Gepaart mit der formellen, gemessenen Körpersprache, die Graf wählt, und den goldgelben Kostümen, die mit dem Gold des Kircheninnenraums korrespondieren, ergeben sich 15 ruhige, starke Minuten.

Viel leidenschaftlicher geht es da bei Sandroni zu. Seine Protagonisten rollen sich zu sechs verschiedenen Laude schon mal auf dem Boden und recken sich wer weiß wohin. Sandroni verzichtet nicht auf intime Posen, wie etwa angedeutet Küsse oder liegende Umarmungen, die aber trotzdem nicht provokativ wirken. Seine Tänzer sind vielmehr vom Daseinskampf angetrieben, den sie nun mal in allen Formen durchleben müssen. Es gibt Grand Jetés im Duett und spektakuläre Hebungen, was man angesichts der provisorischen Bühne, die nicht allzu groß ist und jeden zu harten Sprung mit Donnern quittiert, nur mutig nennen kann.

Sandronis Lebenskämpfer beginnen ihren Kanon. Foto: Franz Kimmel

Sandronis ganze Kunst, wenige Tänzer in überschaubaren, ungewöhnlichen Räumen zu inszenieren, entfaltet sich an diesem Abend. Manchmal lässt er die Herren neben der Bühne stehen, manchmal verfrachtet er die ganze Gruppe in den Chor, so dass die Zuschauer am Vorderaltar vorbei sehen müssen. Leben ist das, was passiert, während man Pläne macht! Zuletzt vollführt die Gruppe einen atemberaubenden Kanon aus betenden Armbewegungen, der in einer seitlich gebeugten Pose gen Himmel endet. In Kirchen applaudiert man meist nur zaghaft, doch an dieser Stelle gab es kein Halten mehr.

Veröffentlicht am: 16.11.2014

Über den Autor

Isabel Winklbauer

Redakteurin

Isabel Winklbauer ist seit 2011 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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