Von der Gabelsbergerstraße. Gotlind Timmermanns neben "silbercyclamorange". Foto: Michael Wüst
An einem wunderbar lichtgefluteten Novembertag trafen wir die Malerin und Kuratorin Gotlind Timmermanns bei ihrer aktuellen Ausstellung im Museumsviertel in der Galerie an der Pinakothek der Moderne. Auf das Gold des Oktobers war das Silber des Novembers gefolgt, das die neuen Arbeiten der Künstlerin ideal vorstellte.
Das Novemberlicht hatte sich also sehr entgegenkommend gezeigt. Immerhin erstaunlich, da ja die Malerei von Gotlind Timmermanns den Blick da gar nicht da hinwendet, zur Natur. Aber auch nicht abwendet, was ohnehin vergebens wäre. Und vielleicht war die Haltung eines Malers vor 100 Jahren, mit einer Staffelei im Kornfeld zu stehen, nur so etwas wie eine Höflichkeitsgeste gegenüber der Schöpfung, war doch immer klar, dass man nicht imitieren würde, sondern etwas Neues schaffen würde, worauf ja Magritte noch einmal hinweisen musste mit der Aussage, dass man mit einer "realistisch" gemalten Pfeife nicht rauchen könne. "Ceci n´est pas une pipe."
N´est pas la nature. Auf die Frage nach menschlichen Vorbildern, die ähnliche Tücken birgt wie die nach der Natur, nennt Gotlind Timmermanns Matisse, der sogar die Abstraktion als Imitation verurteilte und zwar als solche ihrer selbst. Vielleicht sollte man beim Malen ja die Augen schließen. Zumindest jenes innere, das einer Alexanderschlacht den passenden dräuenden Himmel verlieh. Und zumindest heute ist das so, weil die Moderne nicht mehr sehen kann, wo die Natur die menschliche Kultur zu kommentieren geneigt ist. Außer an zufällig schönen Tagen.
Im Vordergrund steht bei Timmermanns die Erzeugung des Farbklangs. Alles geht von der Farbe aus. Die Energien der Farben, die mit sich konfrontiert werden, bilden aus sich heraus die Formen selbst. Die Farbenergie löst aus. Wie bei Matisse gibt es keine gewillkürte Lokalfarbe, es sei denn eine setzt sich durch. Wie aber tut sie das? Ein forschendes Malen, ein Beobachen der Selbstorganisation, eine Forderung danach. Der Teilnehmereffekt des Malers wird sich allerdings nicht ausschließen lassen. Oder man überließe das Maschinen, denen man aber in dieser Hinsicht auch nicht trauen kann, worüber sich wohl auch die Internationale der Situationisten die Köpfe zerbrach, zu denen auch die Gruppe Spur gehörte, in deren Umfeld Gotlind Timmermanns bei Helmut Sturm studierte.
"neonflüssig" 130 x 130. Foto: Michael Wüst
Ausgerichtet an einer Achsenstruktur, oft vertikal-horizontal, manchmal diagonal, rautenbildend, geschieht die Einsetzung der Farbe, dissonant wie konsonant. Die Farben werden verschieden in Fluss gebracht, leicht fließend oder schwer fließend. Viskosität und Fluidität assistieren als weiteres Gegensatzpaar. Farbmischungen, Abstufungen, Abtönungen entstehen durch mehrfaches Auftragen auf der Leinwand. Die Flüssigkeiten bewegen sich schnell oder zäh, fein oder brüchig, je nach Pigmentierung. Pinsel und Rakel treten in den Hintergrund. Runde Strukturen im Gitterwerk enstehen durch das Aufschlagen von Farbtropfen. Manche Bilder sehen aus, als habe ein gezielter Windstoß im rechten Winkel von oben herab die Farbflüssigkeit nach zwei Seiten weggetrieben. Darüber entsteht dann ein oft langwieriger Herstellungsprozeß, Schicht für Schicht, Sediment für Sediment. Ein Aufeinanderschichten von textueller Art. Die Schichtungsprozesse dieser Malerei nehmen den Betrachter mit bei der Erkundung von Raum-Optionen. Das Lesen der Bilder wird zu einer Art der Archäologie des sich entfernenden Horizonts. Einer Luft- oder Himmels-Archäologie.
Oft blicken wir wie zwischen Jalousie-Lamellen in die Tiefe der Welt, einer Welt, draussen. ("neonflüssig", 130cm x 130cm). Kindesblick durch verschlossene Fensterläden. Manchmal entsteht in der Enge der Linienabstände durch die Nachbilder im Kopf des Betrachters ein Flirren. Fata Morgana. Und dunkle Blautöne daneben ziehen wieder in ruhige Tiefen. Farbdissonanzen, wie etwa rot-orange erzeugen einen Bewegungsimpuls, die Bildgrenzen zu verlassen. Die Dynamik der Dissonanz tendiert zur Vergrößerung des Raumes, da dort in der virtuellen Ferne die Dissonanz sich erst zu heilen vermag.
Man denkt an den Schnittpunkt der Parallelen. Ist aufgefordert, das Bild zu verlassen. Diesem Gedanken widmet sich Gotlind Timmermanns auch in "silberrottöne" (140cm x 140cm) und "silbercyclymorange" (140cm x 140cm). Das Aluminium-Silber um die Rotbewegungen scheint die physischen Grenzen des Rahmens auflösen zu wollen. In den Bildern sind keine Löcher, in die man verschwinden könnte. Man ist gehalten ins Außen zu gehen. Alle Macht geht von der Farbe aus. Sie ist der Souverän in Timmermanns Malerei.
All das, was uns erscheint, als wäre es landschaftlichen Motiven, dem grünen Flirren zwischen Bäumen, dem Spiel zwischen Dünen, Hügeln, Wolken, dem Meer und dem Himmel abgeschaut, es ist selbst in der Materie und der Energie der Farben, es ist selbst in der Malerei. Es ist: das Malen.
13. November 2015 bis 10. Januar 2016, Gabelsbergerstraße 7, 80333 München