Noah Haidles "Für immer schön" am Marstall
Mutter Courage der Kosmetik
Bonbonbunt, ziemlich flott und erstmal ziemlich unterhaltsam: Noah Haidles "Für immer schön" feierte am Marstall Premiere. Ein Fest für die Schauspieler. Richtig haften bleibt das Stück des gefeierten US-Dramatikers dennoch nicht.
Arthur Millers Absturzkandidat Will Loman war noch ein vergleichsweise schlichter Handlungsreisender, ein Mann, der ganz normale Waren an den Mann bringen will. Noah Haidles desperate Kosmetikverkäuferin Cookie ist Will Lomans moderne Nachfolgeversion, eine Handlungsreisende 2.0 und noch mehr als das: Sie hat das Heil im Angebot, Ablass im Salbtöpfchen. In ihrem Vertreterköfferchen birgt sie das Versprechen ewiger Schönheit, und weil der Mensch nun einmal nach Gottes Ebenbild geschaffen sein soll, ist dieses Versprechen zugleich Verpflichtung.
Aussehen wie ein „Auffahrunfall“? Ein Versäumnis, das sozusagen den Tatbestand der Gotteslästerung erfüllt. Cookie ist nicht nur einfach Verkäuferin, sie vertritt den perfekten amerikanischen Traum: Konsum wird Gottesdienst. Da hat Norah Haidle schon mal ein schönes Päckchen geschnürt. Weil er einerseits auf den Wiederkennungswert vom „Tod eines Handlungsreisenden“ setzt, andererseits seine nimmermüde Cookie als Mutter Courage zeichnet, alles mit Anspielungen würzt, verbindet er überaus intelligent Verschiedenstes aus der Klassikerkiste: Kapitalismus ist gleich Krieg ist gleich Kult ist gleich – Komik. Denn natürlich ist es auch lustig, jemandem beim Scheitern im großen Lebensentwurf zuzusehen, der jedes kleine Verkaufsgespräch zur Entscheidungsschlacht stilisiert.
Katrin Plötner hat für ihre Inszenierung von Nora Haidles „Für immer schön“ am Marstall hervorragende Schauspieler aufgeboten. Juliane Köhler vor allen anderen, eine feinnervige, überdrehte Beauty-Queen, die jeden Zweifel an der Aufhaltsamkeit des Alters schief weggrinst. Ihre ganze Körperspannung drückt die unbegrenzte Energie aus, die ihre Cookie in einen ziemlich begrenzten Lebenszweck investiert. Da ist Cookie wirklich unerbittlich, andern, aber auch sich selbst gegenüber. Ihr Lebensweg wird sie zeichnen. Irgendwann zieht sie unter Schmerzen die Schuhe aus und schüttet Blut weg. Vor allem die ersten Minuten sind bärenstark. Da wird schon mal die Nagelfeile zur heiligen Lanze, in der Schlacht zwischen der Verkäuferlegende Cookie und ihrem Azubi Heather. Wie sich Juliane und Pauline Fusban als Lehrerin und Schülerin, als Freundinnen und Konkurrentinnen balgen und sich wieder versöhnen: Das hat allemal genug Tempo und Klasse, um einen auf die nächsten 60 Minuten gespannt zu machen.
Anneliese Neudecker hat die Bühne mit Plastikfolien verhängt. Ein vordergründig einfacher Raum, der nichts konkret ins Bild rückt und je nach Beleuchtung alles werden kann: Traumraum, Prinzessinnenzimmer, Verdauungstrakt. Ausgespien, wiedergekäut und von neuem ausgespien werden sie alle: Cookie und Heather und all die anderen, die Männer (in verschiedensten Altern und Rollen Nils Strunk), die Freundin Vera (Katharina Pichler), ihr Kind Dawn (Mathilde Bundschuh). Bonbonbunt das alles, eine Kunstwelt sehen wir, die irgendwie auch die unsere sein könnte. Mitunter mengt sich das Bild des Theaters in Erinnerungen an unsere Alpträume. Nur: Irgendwann geht das alles einen nicht mehr so viel an. Der Anfang hat Tempo, hohes Tempo sogar, und das halten die hervorragenden Darsteller auch durch.
Mathilde Bundschuh zum Beispiel; erst als Baby, dann als Problem-Teenie, dann als sterbende Heroinsüchtige ist sie ein Ereignis. Ein beiläufiges Ereignis allerdings: Dass Mutter Cookie so schnell über sie hinwegschreitet, dafür kann sie nichts. Aber das ist eben auch insgesamt das Problem; das Problem des Textes oder der Inszenierung, so genau weiß man das nicht, hinterher. Die Handlung geht ebenso leichtfüßig über die Charaktere hinweg wie Cookie. Und so bleibt nichts hängen, so wenig wie an Teflon, ein Stoff, der ja auch ein Heilsversprechen birgt: Was du am Herd sündigst, könnte dir verziehen werden. Fürs Theater gilt das nicht ganz.
Die Show dreht schnell auf und irgendwann leer. Wir erfahren in aller Geschwindigkeit, was die Figuren treiben, was ihnen wiederfährt. Warum genau, das erfahren wir nicht. Weil wir Will Lomans Ende kennen, kennen wir auch das Ende Cookies. Wir ahnen es voraus, so kommt es denn auch. Es geht – zu schnell. So beiläufig Haidle seinen amerikanischen Traum beerdigt: Damit müssen wir späten Romantiker erst mitkommen. Aber wer geht denn überhaupt ins Theater, wenn nicht Romantiker? Manches muss sacken. Arthur Millers Handlungsreisende wurde schnell zum Klassiker. Bei Cookie müssen wir noch abwarten, eventuell (eben das wissen wir ja noch nicht) bis zum St. Nimmerleinstag. Cookie wird sich bis dahin halbwegs jung halten können, dank des Glitzerzeugs in ihrem Hochglanzkoffer und überhaupt in dieser Inszenierung. Viel Beifall, vor allem für die Darsteller. Dass die ihre Kraft nicht immer auf die Straße bringen konnten, lag eventuell an der Straße.