Der Sommernachtstraum als Saisonstart im Volkstheater
Dieser Sommer war ein Alptraum
Könnte Zettel sein, aber auch ein Demiurg aus dem elisabethanischen Zeitalter: Jakob Geßner fühlt sich jedenfalls in einen Esel verwandelt. Foto: Arno Declair.
Ein Sommernachtsalptraum in den Kulissen einer "Shakespeare"-Verfilmung: In Kieran Joels Inszenierung des "Sommernachtstraums" am Münchner Volkstheater ist alles nur geträumt, bis zur Verbeugung am Ende. Die Inszenierung erzählt nicht viel Neues über das gar nicht mal so romantische Wesen der Liebe, das aber immerhin unterhaltsam.
Das „Sycamore Grove“-Theater, das im neuen „Sommernachtstraum“ des Münchner Volkstheaters die Szene beherrscht, kennt man doch irgendwoher. Ja, richtig, genau so ist es in einem Film aus dem Jahre 1996 zu sehen, "Romeo und Julia" von Baz Luhrman. In diesem Film bildet der zugemüllte „Sycamore Grove“-Strand das Gegenbild zur protzig reichen Stadt mit den Hochhaustürmen der Montagus und der Capulets, und auf diesem desperaten Stück Sand findet sich ein Filmtheater, in dessen Ruinen Romeo – im Film war das Leonardo diCaprio - immer wieder mal seinen Gedanken nachhängt. "Romeo und Julia" geht bekanntlich nicht gut aus. Der "Sommernachtstraum" fängt nicht mal gut an - weil man an Liebe nicht glauben kann. Höchstens an die Macht des Begehrens.
In Kieran Joels Inszenierung des "Sommernachtstraums" gibt es also keinen Wald, in den sich vier junge Leute flüchten, sondern nur ein heruntergekommenes Filmtheater. Und in dessen geborstenen Wänden hängen Helena, Hermia, Demetrius und Lysander keinen Gedanken nach, sie hängen ab. Wahrscheinlich haben sie eine Sommernachtsparty hinter sich, jedenfalls sind sie offenbar von Sinnen oder ohnmächtig oder beides. Sie schlafen. Und sie träumen schlimmes Zeug. Wer mit wem, warum, wechselnde Konstellationen, klar ist nur eins: Es geht um Macht und Unterwerfung oder Selbstwahrnehmung. Nicht um Liebe. Puck (Max Wagner) macht auch in dieser Inszenierung den Zeremonienmeister - in einer Desillusionierungs-Show. Sehr wendig, sehr glatt, sehr aasig, sehr gut anzuschauen, was Wagner da abliefert. Wenn er singt, singt er nicht treffsicher. Gekonnt wirkt das dennoch. In diesem Schrotttheater ist sogar der Moderator billig.
So sieht's im neuen "Sommernachtstraum" aus, wenn Pyramus und Thisbe einander begegnen. Foto: Arno Declair
Herzöge und Adelige Athens entfallen in Joels Inszenierung, und damit die schönen Sprüche von wegen "gut gebrüllt, Löwe" oder "das Beste von Bestien". Sie hätten auch keine sinnvolle Rolle in diesem "Sommernachtstraum", der Alptraum sein will, und nur Alptraum. Die Handwerker sind dabei, allerdings sind sie die wahren Könner, die das Liebesdrama von Pyramus und Thisbe zynisch und sehr souverän dekonstruieren. Jakob Geßner als Zettel, Mauricio Hölzemann als Squenz und Oleg Tikhomirov als Flaut sind gruselig als Schauspieler-Dämonen des elisabethanischen (also shakespearschen) Zeitalters (Kostüme: Belle Santos). Als unheilige Trinität stehen sie auch für die Stärke dieser Inszenierung: Bilder und Sound (Musik, Lenny Mockridge) ziehen den hörenden Betrachter in den Bann. Und vor allem Jakob Geßner überzeugt voll und ganz in dieser verkehrten Shakespeare-Welt: Ein vitaler Zettel, alles andere als ein Tölpel, da strotzt jede Geste, jede Bewegung vor Mutwillen. Die Drei sind es, die Helena (Nina Steils), Hermia (Carolin Hartmann), Demetrius (Timocin Ziegler) und Lysander (Sebastian Schneider) am Ende dem Publikum vorstellen und sie zur Verbeugung veranlassen. Alles war nur ein Spiel, das Theater im Theater, der ganze Rest. Und die Rolle der vier Athener war klar: Tölpel solltet ihr sein, Tölpel wart ihr - Chapeau! Titania (Luise Deborah Daberkow) und Oberon (Pascal Fligg) sind noch ein bisschen abgeranzter als nach der Vorlage denkbar, vor allem Luise Deborah Daberkow allerdings vermag ihren Schlammpanzer zu sprengen, strahlt animalische Sexualität aus. Der Ehestreit der beiden ist gut nachvollziehbar, aber da gerät keine Welt ins Wanken - nur der Alptraum wird noch ein wenig alptraumhafter.
Kieran Joel hat somit dem rätselhaften "Sommernachstraum" keine neue Bedeutung abgerungen, er hat ihn eingekocht. Aber immerhin mit sehr eindrucksvollen Bildern versehen. Der Start des Volkstheaters in die neue Saison hätte, so gesehen, sehr viel schlechter ausfallen können. Viel Beifall des Premierenpublikums für eine ganz und gar nicht langweilige letzte Show im armen Sycamore Grove Theatre.
Anm. d. Red. (2.10.2018, 11 Uhr): Ein Namensfehler in der Besetzungsliste wurde korrigiert.