Die Ausstellung "Zeichen & Wunder" von Ugo Dossi im Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst
Seher des verborgenen Schatzes
Die Inzidenz ist dieser Tage gnädig gelaunt: Seit Dienstag, 11.Mai 2021, kann die Ausstellung "Zeichen und Wunder" von Ugo Dossi besucht werden. Bis jetzt ruhte sie wegen der Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung seit dem 7. April im Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst, prächtig und verschlossen wie in einer Grabkammer. Die Verborgenheit gerade an diesem Ort konnte man fast wie eine Würdigung empfinden. Das ist ja der Wert des Schatzes, seine Verborgenheit.
Ugo Dossi ist als Künstler, ein Jäger, ein Seher des verborgenen Schatzes. Dabei versenkt er auch gern selber. Sich und andere. Der Schatz liegt im dialektischen Moment der Transzendenz: Der Blick in die Tiefe der Materie und der Zeit wird zur Fackel im eigenen Kopf und erleuchtet die immateriellen Schätze, die des Künstlers und der Betrachter.
Für den Kenner alchemistischen Denkens vom mythischen Hermes Trismegistos bis zu Marsilio Ficino, dem Neuplatoniker der Renaissance, geht es um den Weg zu "Rebis" (lat: res bina), zur Synthese im Magnum Opus. Die zwiefache Sache ist mehr als die Zwei, welche in der Kabbalistik die Welt in ihrer Erscheinung (Abbild, Simulacrum) repräsentiert, sondern die Drei als Wiederkehr der Eins, die erkannte, eigentliche Welt. Das Rebis heute lebt fort in der kosmologischen Debatte von Geist und Gehirn, die aus Konsequenzen der Quanteninformation entwickelt wurde. Ganzheitliche Weltbilder, heute kosmologisch henadisch genannt, nehmen Rückbindung zu Platons dyadisch gedachter Welt, die in der Renaissance wieder nach oben kam, auf.
"Wir ... stehen am Ende einer Entwicklungslinie der Ausdifferenzierung der Protyposis, die man als Weltsubstrat - eine abstrakte Quanteninformation - ansehen kann, die in uns Menschen schließlich dazu kommt, über sich selbst nachzudenken" (Thomas und Brigitte Görnitz "Der kreative Kosmos", Geist und Materie aus Quanteninformation).
Dossis "Stärkende Zeichen", hauptsächlich auf weißem Büttenpapier sind neu gefundene Glyphen, empfunden aus und nach der ägyptischen Sprache. Sie konstellieren sich in der ägyptischen Manier der phonetischen, bildlichen und abstrakten Determinierungen, sie durchdringen sich, überlagern sich. Sie addieren sich aber nicht zu alphabetischer, rationaler Begrifflichkeit. Sie sind in ihrer sinnlich glänzenden Schlichtheit und Unbedingtheit, perfekt ausgependelt, ganz vom Geistigen geführt. Die ästhetische Macht dieser Bilder ist in Schlichtheit, mehr noch: an Schönheit gewonnen. Schönheit selbst wird Träger des Geistigen, von ihm durchleuchtet. Die Arbeiten haben ein Charisma, eine Qualität der Revelation, die nur intuitiv erfahrbar ist, aber nicht ausbuchstabiert werden kann. Eine Qualität, die nicht in Quantität umcodiert, digitalisiert werden kann. Sondern eine Qualität, die nicht mehr auf Quantität zurückgeführt werden kann.
Eine Wiederbegegnung mit den Dossi-Vortices (vortex = Wirbel, Strömungslehre), gibt es in "Calix", einer neuen Serie. Energiegeladene Spiralen des jungen Kosmos, dort, wo in absoluter Brutalität und Schönheit das Leben entsteht. Als Theolugumenon: durchdrungen von der Amoralität eines Schöpfergottes. Oder heutig nach Carl Friedrich von Weizsäcker: Energie als kondensierte Information und Materie als kondensierte Energie. Auf der Symmetrieachse zwischen zwei gespiegelten Wirbeln in der Mitte fügt sich jeweils die Kontur eines Kelchs ins Bild. Die Kelchlinie ist gebildet durch die beiden sich konfrontierenden Profile desselben Wesens. In kraftvollen Farben präsentieren sich Schöpfer- und Kulturgottheiten als Kelche eines interfazial reflexiven Entschlussraumes. Sachmet, Nofretete und Horus - dreimal Welt ausschüttend, Welt auffangend. Furor der Schöpfung, Grandezza der Vormoralität. Man ist versucht ganz nietzscheanisch in Wagnissen wie dem von der Unschuld des Bösen zu schwelgen. Neben den Bilderuptionen stehen quasi als "Abgüsse" aus der zweiten Dimension physische Kelche der entsprechenden Profile auf Podesten im Raum. Sie wirken wie Devotionalien nach dem Abkühlen der Schöpfung, Lithurgie-Gegenstände einer kommenden Religion.
Auf der anderen Seite des Raumes zeugen drei "Nefer"-Bilder, Widmungen an die Schönheit der ägyptischen Nefertiti, von einer schon wieder lange verschwundenen Phase der Religion. In ihren Augen, der Tiefe aller Nacht eingesenkt, ruht die Schönheit der Frau an sich. Über das 3000 Jahre alte Bild der Nefertiti legt Dossi seit den 1990er Jahren automatische Zeichnungen, die in tranceartigen Momenten entstanden sind. Die in den Echokammern der Gegenwart emporgekommenen Zeichen und Chiffren weisen auf die omnipräsente Vermittlungstätigkeit der Welt. Schon die Semiotik als Lehre der Zeichen, bekannt durch die Strukturalisten Ferdinand de Saussure und Roland Barthes, dachte die Welt selbst als ein Denken der Vermittlung. Die moderne Sprachwissenschaft entstand bezeichnenderweise parallel zur Entdeckung des Plankschen Wirkumsquantums. Heute stützen die Konsequenzen dieser wohl größten Entdeckung der Physik in der Quanteninformation die henadische Einheit des Kosmos von Gehirn und Geist. Die Logik der Differentialgleichungen, mit ihrer "Unschärfe" in der Nähe zur Null und damit unverzichtbarer Partner der klassischen Physik, kann nicht mehr aufrechterhalten werden. In diesem Sinne wäre auch eine kritische Auseinandersetzung mit dem Fortschrittsmythos Digitalisierung, was seine pauschale Zuständigkeit für alles und jeden angeht, wichtig. Die Umrechnung jeglicher Qualität in Quantität, das Rasenmäherprinzip der Konformität, das über alle sozialen, kulturellen und individuellen Merkmale hinweggeht, würde in einer Dossi-Ausstellung keinen Kelch bekommen. Es wäre eher ein Plastikbecher aus der To go-Welt.
Diese Ausstellung ist gemacht für uns alle, die wir uns danach sehnen, die statistischen Plaques, das Zittern der Kurven aus den Echokammern unserer verantwortungs-trainierten Bürgerhirne hinauswerfen zu können.
"Zeichen & Wunder", Staatliches Museum Ägyptischer Kunst, noch bis zum 27. Juni 2021.