"Der Turm" am Residenztheater

Mehr Albtraum als Trauerspiel

von Michael Weiser

"Der Turm" am Residenztheater (v.l.): Johannes Nussbaum, Lisa Stiegler, Valentino Dalle Mura, Thiemo Strutzenberger. Foto: Birgit Hupfeld

Ein seltsames Riesen-Ding war Hugo von Hoffmannsthals Trauerspiel "Der Turm". Nora Schlocker inszeniert es stark gestrafft, als Kommentar zum Krieg in der Ukraine. Eine düstere Angelegenheit.

Von den ersten Takten an stört da was. Immer wieder mal ist das Licht weg, ganz kurz, wirklich nicht mal einen Lidschlag lang, man ist sich als Zuschauer gar nicht sicher, ob einen da nicht die Sinne getrogen haben. So zieht sich in Nora Schlockers Inszenierung von Hoffmansthals "Der Turm" am Residenztheater von Anfang an ein Riss durch die Welt. Die kurzen Aussetzer sind so etwas wie die Vorboten des großen Nichts.

Hugo von Hoffmansthal schrieb seine Dystopie als "Zweitdrama" nach "Das Leben ein Traum" von Calderon erkennbar unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs und während der Nachbeben nach dem Zusammenbruch dreier Kaiserreiche. Aus den schlammigen Schützengräben Galiziens scheinen auch die Gestalten zu kommen, die zu Beginn auf der Rampe stehen und einander zuraunen. Von Waffen, von einem neuen Herrscher, vom Wüten aller gegen alle. Sie stellen sich als Wächter heraus: als klebte ihnen eine Lehmkruste am Leib, als hätten sie Asche im Gesicht, vier Männer, die Grausames erlebt und getan haben dürften.

Sie befinden sich im untersten Geschoss eines Turms, der als Kerker dient. Der einzige Insasse ist Sigismund, Sohn des Königs Basilius. Basilius hat den Filius wegsperren lassen, weil ihm geweissagt worden war, dass der ihn einst töten werde. Seine Tage verbringt er im Nichtstun, wie ein Soldat sagt, "wie ein Herr oder ein Hund". Nur zwei Stunden pro Tag sieht er die Sonne, fremde Menschen nie, verkrümmt liegt er an der Kette.

Michael Goldberg, Thiemo Strutzenberger. Foto: Birgit Hupfeld

Eine Gestalt wie Kaspar Hauser, dieser Sigismund, ein Kind-Mann, den Menschen und ihren rohen Bräuchen abhanden gekommen. Sein Verließ ist ein Stuhl, festgeschraubt an der Wand, hoch über den Köpfen der anderen. Dort dämmert er vor sich hin. Was da an Video über die Mauern flimmert, dürften seine Träume sein. So genau weiß man es aber nicht.

Basilius lässt sich schließlich nach vielen Jahren überreden, den Sohn in den Palast bringen zu lassen. Es ist ein Experiment. Man versteht sich zunächst so schlecht nicht, Vater und Sohn reden zumindest, die Weissagung scheint widerlegt. Bis Sigismund, durch die Kälte des Vaters gereizt, unversehens auf den König losgeht. Geduld und Skrupel des Basilius haben nun ein Ende, der Sohn soll hingerichtet werden. In den Minuten vor der öffentlichen Exekution sehen die höfischen Verschwörer die Chance, den alten König zu stürzen und den Jungen als Marionette auf den Thron zu setzen.

Wie nur legitimieren die Anwärter ihre Grausamkeiten, wo nahm das Wüten seinen Anfang? "Woher all die Gewalt", fragt Sigismund mit großen Augen. Lisa Stiegler spielt diesen Thronfolger beeindruckend intensiv als einen Welt-Fremden, der, wie ein Tier erzogen, die wahren Beweggründe der Menschen wie üblen Geruch wittert.

Das Gegenteil ist sein wortgewandter Vater, ein zynischer Souverän: Michael Goldberg hat seinen Moment im Augenblick der Abdankung: Den Text dazu liest ihm ein Höfling vor,  er kommentiert ihn mehr, als dass er ihn nachspricht. Eine Farce, ein guter Witz, dieser Auftritt.

Der König will sich nicht dreinschicken, es macht aber auch keinen Unterschied. Es geht nicht gut für ihn aus, auch nicht für Sigismund, genau genommen für niemanden außer für den Brutalsten von allen, den Landsknecht Olivier (Valentino Dalle Mura).

Schlocker und ihr Team - Bühne Irina Schicketanz, Kostüme Bettina Werner, Komposition Alexander Vičar, Video Sven Zellner und Licht Gerrit Jurda - malen beeindruckende Historiengemälde im kerkerhaften Halbdunkel. Hoffmansthal hatte - in mehreren Fassungen - ein Trauerspiel in fünf Akten geschrieben. In dieser stark gestrafften Fassung zerfällt es und setzt - so man sich auf Atmosphäre einlässt - sich neu zusammen: zu einem Albtraum, wie ihn der Schlaf der Vernunft hervorbringt.

 

Veröffentlicht am: 27.10.2022

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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