33. Jazzfest im Blitz-Club, u.a. mit Gerwin Eisenhauers Boom

Geburtsstunde im U-Boot

von Michael Wüst

Gerwin Eisenhauer, Layla Carter. Foto: Michael Wüst

Mit „Gerwin Eisenhauers Boom“ setzte das 33. Jazzfest München am Samstag (5. November 2022), im Blitz-Club ein dickes Ausrufezeichen hinter sein diesjähriges Festival. Das dreitägige Event stand, da der Gasteig nicht zur Verfügung war, unter einem schwierigen Stern. Nicht nur ein alternativer Spielort für Konzerte musste gefunden werden, sondern auch einer, der die langfristig beschlossene Kooperation mit der Jazz Now!, einer speziellen Edition der Deutschen Jazzunion, mit Panels, Workshops und Diskussionen, umsetzen konnte.

Die Ganztages-Veranstaltungen bedurften geeigneter Räume und Bestuhlung. Dies führte zu einer Lösung, die so manchem Marketingmenschen die Runzeln in die Stirn treiben musste. Die ersten beiden Tage fanden also im Sudetendeutschen Haus an der Hochstraße statt, der Schlusstag, von dem hier die Rede ist, im Blitz-Club, Deutsches Museum. Wer annehmen mochte, diese etwas skurrile Kombi wollte Rücksicht auf Vorbehalte der Jazz-Generationen nehmen, sah sich getäuscht. Man gab sich nicht borniert oder stilistisch irritiert. Vor allem das Blitz-Club-Team um Brane war von vornherein sehr aufgeschlossen. Dass am Schluss der Club ausverkauft sein würde, damit hatte niemand gerechnet. Man hatte einfach Lust auf diese Begegnung.

Simon Popp, Daniel Scheffels. Foto: Michael Wüst

Schon Simon Popp bereitete mit seinem Projekt „Devi“, benannt nach einer der vielen ambivalenten hinduistischen Gottheiten, gewissermaßen das atmosphärische Fundament für den „Boom“ am Ende des Abends. In diesem faszinierenden Club-Raum, der auf Erdgeschosshöhe schon wirkt, als sei er für Druck in großen Tiefen gebaut, sanken wir schon gleich mit den perkussiven, hypnotischen Litaneien von Simon Popp, Daniel Scheffels und Florin Mück. Es begleiteten uns die Sirenengesänge der Aerophone Balafon und Udu. Die synkretistische Vielfalt des altarartigen Bühnenaufbaus verband sich in wellenartigen Mantras und eignete sich für eine trance-hafte Versenkung ins kollektive Unbewusste. Die Musiker auf der Brücke verschmolzen mit dem Publikum zu einer Besatzung. Der sich nach außen hart gebende Raum enthüllte eine herrliche Romantik.

Olga Dudkova mit ihrer Band markierte einen Zwischenstopp. Alte Vorräte aus amerikanischen Lägern eines vergangenen Aufbruchs mussten aufgenommen werden. Mit ihren Ko-Sängerinnen Amelie Scheffels und Fiona Grond wirkten die drei vorne wie drei Rotkelchen in der Schlussszene von „Blue Velvet“. Die glitzernde Wurlitzer einer vergangenen Zukunft bescherte einen schrägen Popjazz mit dem Charme einer etwas abgetragenen Sentimentalität, die gelegentlich zu verwehen drohte. Immer wenn die Retro-Seligkeit in Bubbles zusammenzufallen begann, griffen die fabelhafte Susie Lotter (E-Bass) und der beißend zupackende Ferdinand Kirner (Guitar) energisch ein und erhielten das schaumige Vergnügen.

Gerwin Eisenhauer, Layla Carter. Foto: Michael Wüst

Dann kurzer Umbau, es knisterte, das Unterwassergewitter stand nun bevor. Gerwin Eisenhauer betrat die Bühne, in den Händen die Blitze seiner Sticks. Viele dürften schon ihn schon vom Trio Elf her kennen, wissen, dass er sich schon seit längerem damit beschäftigte, dem damals noch analogen Schlagzeug eine elektronisch anmutende Spielweise aufzuprägen. Wussten vielleicht auch, dass sein Drum´n´Bass – Workbook For Drummers mit dem Titel „Welcome to the Jungle“ einen ersten Weg wies, elektronisch anmutende Techniken zu entwickeln. Mit dem elektronisch voll abgenommenem Set, das nun auf der Bühne stand, war klar, warum als Unterzeile unter „Boom“ stand, worauf sich die Community freute: Techno Jazz. Mit den ersten, manchmal kleinen, leichten Berührungen der Pads ging die Post sofort ab. Ein etwas größeres Pad, an der Stelle der normalen Basstrommel, sorgte im kurzen Opener dafür, dass sich ein erster Fels aus dem den Club umgebenden Massiv löste. The Groove was on.

Zeit für die anmutige Nixe, die neben der DJ-Brücke gewartet hatte, ebenfalls die Bühne zu entern. Mit Layla Carter hatte Gerwin erst zweimal performt, beide Male in Regensburg, seiner Heimatstadt, auf dem dortigen Jazz-Weekend und dem Popkultur-Festival. Vielleicht war sie in diesen Tagen ja auch gerade erst 18 geworden. Sie agierte jedenfalls mit einer Coolness und Souveränität, die man auch bei erfahrenen Sängerinnen nicht oft antrifft. Hauptsächlich aus zwei Songs entnahm sie Fragmente, um eigene Improvisationen damit zu verbinden: „Enny“ von Peng Black Girls, was ihr den Setzkasten zu eigenem Rap lieferte und „Supermodel“ von Sza, melodiöser und mit größer zusammenhängenden Lyrics.

Gerwin Eisenhauer, Layla Carter. Foto: Michael Wüst

Eine South East London – based Mixture, die zusammen mit ihrem Performance- und Improvisationstalent es ihr erlaubte, sich gleichberechtigt in den Kaskaden und elektronischen Schlagwettern Eisenhauers zu bewegen. Der avantgardistische Ansatz eines Drum-Voice Duos fand in „Boom“ eine schlagende, konkrete, höchst plastische, höchst sinnliche Form. Ein Ungleichgewicht, das man bei einem derartigen Duo in „alter“ Instrumentenpraxis vermuten würde und das man bestenfalls als Brüchigkeit aus intellektueller Konsequenz, subsumiert im Label „Avantgarde“ rechtfertigen würde, bestand hier nicht. Drummer und Sängerin waren gleich frei und hatten gleichen Raum für Improvisation. Sensationell. Eine Geburtsstunde!

Veröffentlicht am: 09.11.2022

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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