"Fabian" nach Erich Kästner am Münchner Volkstheater
Kreiseln im Wartesaal namens Europa
Romantisches Intermezzo: Fabian (Anton Nürnberg) und Cornelia Battenberg (Ruth Bohsung). Foto: Arno Declair
Die Richtung ist klar, es geht vor die Hunde. Eine solche Bestandsaufnahme lieferte auf der Schlussgeraden der Weimarer Republik Erich Kästner mit seinem satirischen Roman "Fabian". Philipp Arnold nimmt den Stoff am Volkstheater auf - und macht ihn so unkenntlich, dass am Ende auch künstliche Intelligenz keine Antworten mehr geben kann.
Es ist ja nicht so, dass einem da nicht die eine oder andere Parallele ins Auge fallen würde. Die Orientierungslosigkeit der Einzelnen und die zunehmende Polarisierung der Gesellschaft, beispielsweise; der Abschwung der Wirtschaft, Inflation, Angst vor sozialem Abstieg, die Überforderung durch die Moderne... Ja, es gibt, abgesehen davon, dass man Erich Kästner eh immer lesen kann, einige Gründe, sich "Fabian oder der Gang vor die Hunde" erneut vorzunehmen.
Gerade in Zeiten wie diesen aktuellen, unseren, in denen sich die verschiedenartigsten Krisen wie die Stränge eines neuartigen, extrem haltbaren Verbundstoffs ineinander verbacken. Dieses Stoffs nun hat sich am Münchner Volkstheater Philipp Arnold angenommen. Arnold lässt das Ende der Weimarer Republik herandämmern und ergänzt das mit Texten aus der Gegenwart. Als Kontrastmittel sozusagen, das deutlich machen kann, wie sehr die Zeit mal wieder aus den Fugen geraten ist. "Das Welttheater spielt weiter — und sein Protagonist weiß immer noch nicht, wessen Welt hier untergeht und ob er als Zuschauer oder Akteur geladen ist." Diesen Satz reicht das Volkstheater als Gebrauchsanweisung.
Annehmen darf man: Gemeint sind wir, die wir nicht wissen, am Vorabend welcher katastrophalen Ereignisse wir stehen. So sinnvoll diese Vergegenwärtigung des Kästner'schen Romans an sich ist, so wenig funktioniert sie an diesem überambitionierten Abend. Es liegt nicht an den Schauspielern, die mit viel Energie bei der Sache sind und den immer noch leichten Ton von Kästners Apokalypse gut treffen. Nina Steils zum Beispiel; eine der Unverwüstlichen ist sie, eine, die unbekümmert alte Bindungen und Normen über Bord wirft. Eine, so darf man annehmen, die Jakob Fabian in seiner geballten Unsicherheit bewundert. Und Nina Steils schafft es, diese zweckorientierte Fröhlichkeit doch auch mit großäugiger Verletzlichkeit zu versehen. Dass einen der Abend nicht zu überzeugen vermag, liegt eher daran, dass Arnold gleichzeitig zu viel will. Bei ziemlich guten Ansätzen.
Die Bühne zum Beispiel; sie ist karg, eine Showtreppe, die auch ein Skelett darstellen könnte, das Restgerüst einer Gesellschaft, mit der's bergab geht. Dieses Treppengestell dreht sich auf der Drehbühne, und im Halbrund drum herum kreiseln die Videosequenzen mit den Bildern Berlins in den 20er Jahren. Den Rest erledigt das Kopfkino – und schon entsteht das expressive Bild einer hektischen, sich um sich selbst drehenden Metropolis, die von Zentrifugalkräften zerrissen zu werden droht. Dunkle Farben verleiht dem Ganzen die Musik von Romain Frequency. Atmosphäre und starke Bilder, daran fehlt es also nicht (Bühne: Viktor Reim). Es fehlt aber ein Roter Faden. Denn auch die Handlung vom Fabian ist bis aufs Skelett abgenagt.
Die Roman-Vorlage von Erich Kästner liefert einige Charaktere: einen doppeltem Fabian (Anton Nürnberg, Silas Breiding), dessen Spezl Stephan Labude (Pascal Fligg), Cornelia Battenberg (Ruth Bohsung), Erfinder (Jonathan Müller) und Irene Moll (Nina Steils). Die Handlung des "Fabian" bleibt jedoch in wesentlichen Teilen außen vor. Der Text dient in erster Linie als Stichwortgeber, mit Sätzen epischer Verlorenheit: "Und jetzt sitzen wir wieder im Wartesaal, und wieder heißt er Europa! Und wieder wissen wir nicht, was geschehen wird. Wir leben provisorisch, die Krise nimmt kein Ende."
Das Wort haben immer wieder gegenwärtige Autoren, mit ihrem Blick auf den "Wartesaal Europa": Arna Aley, eine aus Litauen stammende deutsche Autorin, der belarussische Autor Viktor Martinowitsch und die ukrainische Dramatikerin und Journalistin Maryna Smilianets. Der Ukraine-Krieg und die Erfahrungen der Geflüchteten: Darauf zurückzugreifen liegt nahe, allzu nahe vielleicht, als dass ein aufmerksamer, zeitgeistreicher Regisseur daran vorbeigehen könnte. Aber gibt eszu Europas bröselndem Provisorium nicht noch viel mehr zusagen? Oder auch viel weniger: Kästners Roman allein hätte für die Bestandsaufnahme genügt. Am Ende ist alles ein Riesenschlamassel, auch Fabians romantischer Exkurs mit Cornelia Battenberg hat sich erledigt, sie leiht ihr Gesicht einem Kunstwesen, das, versehen mit künstlicher Intelligenz, Antworten geben soll. Allein,es gelingt nicht. Dennoch: Es ist kein zäher Abend, er ist sogar kurzweilig. Was für die These spricht, dass das Verstehen der Handlung für das Elebnis der Spannung nicht unabdingbar ist, ja, dass das Verstehen überschätzt wird. Vielleicht überhaupt, sicher aber im Theater.
Korrektur
In einer früheren Fassung war von drei ukrainischen Autoren die Rede gewesen, die Texte zur Fassung des "Fabian" am Volkstheater beigesteuert hätten. Tatsächlich ist Maryna Smilianets in der Ukraine geboren. Arna Aleyeine dagegen ist eine litauischstämmige Autorin, Viktor Martinowitsch kommt aus Belarus. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.