Klangfreuden und Raumleiden

von kulturvollzug

Jazzlines-Festival für Neue und improvisierte Musik: Raumutopien mit  dem Münchener Kammerorchester unter dem Dirigat des Komponisten Beat Furrer in der Allerheiligen-Hofkirche.

Münchner Kammerorchester (Foto: Lukas Beck)

Berlin setzte gerade erst mit dem zu Ende gegangenen Neue-Musik-Festival „Maerzmusik“ Maßstäbe, verpflanzte Hochkultur in die Technohöllen "Trafo" und "Berghain", was akustisch nicht immer die beste Lösung war. Anders die Münchner Jazzlines: Statt das kleine, feine Münchener Kammerorchester in Experimentalräume wie Muffathalle oder Schwere Reiter zu locken, war man zu Gast in der Residenz. Dies tat der Musik sehr gut, gab ihr den perfekten Klangraum, der aktuell in der Neuen-Konzertsaal-Diskussion in den geläufigen Konzertorten wie dem Gasteig vermisst wird. In jener Diskussion um bessere Akustik für die großen Orchester vergisst man gerne die kleinen Akteure wie das Kammerorchester oder das innovative Neue-Musik-Ensemble piano possibile. Ersteres hat bald mit dem Abriss des Siemens-Komplex hinter der Zentrale am Wittelsbacherplatz ein Probenraumproblem, piano possibile konnte den lange zugesagten Probenraum in der Pöllatstrasse bisher nicht beziehen. Es braucht so auf Dauer nicht nur verbesserte Akustiklösungen, gar neue Säle für die Renommierten, auch die gern vergessenen Kleinen müssen eingebunden werden in einen Runden Tisch aller Musikensembles der Stadt.

Die Potenz der „Kleinen“ bewies jedenfalls das Kammerorchester-Konzert. Der seit seiner Studienzeit in Wien lebende Schaffhauser Beat Furrer eröffnete samt den auf wenige Pulte reduzierten Streichern den Abend mit Giacinto Scelsis „Natura renovatur“. Man durfte gespannt sein, denn dieses Werk zählt zum Repertoire des Orchesters, wurde von ihm sogar auf CD eingespielt. Obwohl das Orchester frontal im ehemaligen Altarraum positioniert war, schien der Sound aus allen Ecken zu kommen. Filigran komponiert wie gespielt, atomisierte sich dieser Eindruck wieder: Über mehr als zehn Minuten lang schraubt sich das Stück in Halbtonschritten, ornamental an arabische Musik erinnernd, zu einem laut ausbrechenden Akkord herauf und verflüchtigt sich schnell mit kristallinen Klängen. Man glaubte einen Heilsbringer zu hören, der die Welt ökologisch korrekt erneuert und sich dann doch lieber für ein sonnenwindschnittiges High-Tech-Ufo entscheidet.

Beat Furrer (Foto: Veranstalter)

Beat Furrer trat mit Ausschnitten aus seinem „Wüstenbuch“ nach eigenem Libretto auf Texte von Ingeborg Bachmann, Händl Klaus und altägyptischen Papyri nun als Komponist in Erscheinung. Er wurde im Jazzlines-Programmflyer als ein "Meister der Zwischentöne und Klangräume" angepriesen. Die vier Nummern starteten mit einem Kontrabass-Sopran-Duett, großartig von Hélèn Fauchére und Uli Fussenegger interpretiert. Grundintervalle wie Quinten und Quarten wurden ähnlich wie bei Seclsi umspielt, ließen an die Kirchenmusik des Spätmittelalters denken, wirkten ähnlich vergangenheitszugewandt und gnadenlos romantisch in ihrer Weltverlorenheit in der heutigen Hoch-Zeit des Technizismus. Die folgenden Sätze führten diesen Duktus fort, nahmen sich Mahler in breiten Streicherklängen und fernen Bläsern sowie Lachenmann im Geräuschhaften im Sopran-Sopran-Duett zum Vorbild, zur ersten Sängerin trat Thora Augestad hinzu, die im Abschluss mit einer einer Arie à la Nono in ihren tiefen Registern brillierte. Insgesamt endeten die Ausschnitte immer zu abrupt, waren sie doch eher eigene Stücke als Nummern eines Musiktheaters.

Mit Witold Lutosławskis Musique funèbre, ein Zwitter zwischen Bartok und Dodekaphonie, erklang das rundeste Stück des Abends. Gut zehn Jahre nach Richard Strauss' spätestromantischen Metamorphosen für Streicher greift es diese Form der Trauermusik auf, lässt jeden Einzelnen des Ensembles solistisch hervortreten, statt in satten Klängen zu schwelgen. Eine einstimmige Melodie von tiefen Geigen und hohen Celli ist der stärkste Moment, trotz der Nähe zum 19. Jahrhundert in der Linienführung ist dies zugleich romantischer Klang wie moderne Kargheit in einem. Trotzdem verwunderte gerade wegen dieser inzwischen alten Neuheiten die althergebrachte Form von langsamen Aufbau zur Steigerung und der schneller Abbau im Goldenen Schnitt, wünschte man sich mehr Ecken wie die kriegsversehrten Ziegelsteine der putzfreien Allerheiligen-Hofkirche.

Was hatte der Abend aber bisher mit Jazz, mit Improvisation zu tun? Diese Verheißung lösten Roman Haubenstock-Ramatis Konstellationen ein. Haubenstock-Ramati ist der Lehrer Furrers, und zu dessen Kontrabass traten der Trompeter Franz Hautzinger, der Kontrabassklarinettist Frank Gratkowski und der Perkussionist Christian Lillinger. Letzterer überzeugte mit großer Gestik und doch feinen, leisen Klängen, dazu unspektakulärer in der Optik, dennoch span-nend mit Klängen am Rande des Hauchs die drei Anderen. Man hörte gebannt die knapp zwanzig Minuten zu, wünschte sich allerdings doch insgeheim einen energetischen Ausbruch der durch Furrers Interpretation zur Stille verdonnerten hervorragenden Solisten.

Alexander Strauch

Veröffentlicht am: 10.04.2011

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