Pomp, Radu and Circumstance
Keine Frage, das Ballettstudio Radu gehört zu Münchens guten Tanzschulen. Chefin Adriana Radu, ehemalige Solistin an der Staatsoper Dresden, beherrscht die klassische Technik und kann sie vor allem auch mit Herz und Verstand weiter geben. Unzählige Schüler lieben sie als den (fast) wichtigsten Menschen in ihrem Leben. Aber muss die Schule deshalb ihr fünfjähriges Bestehen mit einer Aufführung im Carl-Orff-Saal feiern?
Das ungeschriebene Gesetz sagt eigentlich, dass alle Schulvorstellungen ausser die der Bosl-Stiftung der Qualität wegen ins Gemeindezentrum gehören. Daran halten sich Radu und ihr Team nun eben nicht, sondern zeigen unverfroren eine "Tanzreise um die Welt" - ein zweistündiges Abendprogramm, an dessen 14 Nummern sich jeder Profi einen Herzinfarkt inszenieren würde. Bühnenbild, Kostüme und Technik nahmen die Angehörigen des Studios selbst in die Hand. Alle Choreographien stammen von Adriana Radu - inklusive eines nachmittäglichen Märchenballetts als Zugabe. Eine organisatorische Leistung, die künstlerischen Wahnsinn erfordert und unbedingten Beifall verdient.
Von Sankt Petersburg mit "La Bayadere" über Andalusien mit "Don Quichotte" ins jazzige Berlin, nach Rumänien, Kuba bis hin nach Hollywood und New York führt die Tanzreise. Vieles daran ist natürlich nicht comme il faut. Die Radu-Schüler besitzen zwar durchweg schöne Èpaulements und Port-de-bras, andererseits zeigen sie wie alle Angehörigen von Hobby-Schulen keine Bein- und Fussarbeit, die auf einer ordentlichen Bühne bestehen könnte. Das darf man aber auch nicht erwarten. Denn für makellose Linien ist nun mal ein tägliches Training nötig, wie es nur an den Akademien stattfindet.
Dennoch blitzten unter den älteren Tänzern immer wieder Talente auf. Da gab es die elegante Lydia Petasch als Odette. Daria Afonkinas erzählerisches Wesen, mit dem sie als Kitri glänzte. Oder Denys Mogylov, der den rumänischen Volkstanz mit Charme und guter Technik vollführte. Auch die jungen Hoffnungen Sarah Scheer und Aoi Takahashi erregten Aufmerksamkeit als Ballettratte auf Reisen und flirtende Mini-Kitri. Beiden wünscht man einen schnellen Wechsel an eine staatliche Schule. Der Beine und Füße wegen.
Einige Stationen der "Tanzreise" mangelt es an Einfallsreichtum, was zweifellos dem immensen Pensum der Choreographin zuzuschreiben ist. Die Wien-Sequenz mit Klischeewalzern gehört dazu. Auch der Pas-de-Trois "Rondo Veneziano". Derartige 80er-Jahre-Musik verbietet sich eigentlich. In anderen, scheinbar mit mehr Hingabe kreierten Stücken gab es dafür kein Halten: Die Jazz-Nummer "Cabaret" mit der frechen aber sehr weiblichen Franziska Schrade war des Aufführungsortes würdig, ebenso die Katzenkinder in "Cats", der kubanische Salsa und der Hiphop aus Miami (Juliane Bauer, Pascale Firholz, Agnes Nemeth). Hier zierte echte Tanzkunst die Bühne, und zwar in besserer Qualität, als manch anders, was man schon im Carl-Orff-Sall sehen konnte.
Alles in allem also ein Mammutprogramm - für das es selbstverständlich nur ein mögliches Finale gab. "One" aus dem Musical "A Chorus Line" verrät letztlich auch Adriana Radus Geheimnis: Liebe zu den Schülern und die 300-prozentige Bereitschaft, ihnen bis hin zu den größten Momenten des Tanzolymp, alles auf den Leib zu choreografieren, was sie sich erträumen. Vorsicht! Dieser speziellen Energie sei Dank könnte das Studio Radu in fünf Jahren im Prinzregententheater gastieren.
Isabel Winklbauer
Nachtrag: Am 11. Mai, 14.21 Uhr wurden zwei Korrekturen vorgenommen.