"Wir vermissen Strauß" - ein Interview zu 50 Jahren "Panorama"
Die 38-jährige Münchnerin Anja Reschke moderiert seit zehn Jahren "Panorama" und arbeitet auch als Autorin für das Magazin.
Frau Reschke, was ist Ihr persönlicher Höhepunkt aus 50 Jahren "Panorama"?
Was mich am meisten bewegt hat, ist die Geschichte über die Kriegopferrenten. "Panorama" deckte 1997 auf, dass viele damalige Täter der NS-Zeit nach wie vor Geld vom deutschen Staat bekamen. Grund dafür war das Gesetz zur Kriegsopferversorgung, das allen ehemaligen Wehrmachts- oder SS-Mitgliedern, die im Kriegseinsatz verletzt worden waren, Kriegsopferrente bezahlt. Und darunter waren eben auch viele Kriegsverbrecher. Diese Enthüllung hatte weitreichende Gesetzesänderungen zur Folge.
In Ihrem Buch schreiben Sie, eine der wichtigsten Aufgaben politischer Magazine sei der Tabubruch. Kann man denn heute überhaupt noch Tabus brechen?
Es gibt insofern keine Tabus mehr, als mir nichts einfällt, über das man heute nicht öffentlich reden dürfte. Allerdings gibt es immer noch viele Themen, die die Menschen sehr stark bewegen. Die Grundfragen der Gesellschaft sind die gleichen wie vor 50 Jahren, etwa der Umgang mit Tod, Sexualität, Erziehung oder Religion. Als Angela Merkel 2009 zum Beispiel den Papst wegen seines Umgangs mit dem Holocaust-Leugner Richard Williamson kritisierte, waren viele Menschen wirklich sehr aufgebracht. Das fand ich erstaunlich.
Sie beschreiben auch, wie mühsam der Kampf war, die Berichterstattung vom Einfluss der Politik zu befreien. Fehlen "Panorama" heute die echten Gegner?
Für eine politische Sendung ist es natürlich gut, wenn Du Dich an bestimmten Figuren reiben kannst. Insofern fehlt uns tatsächlich ein bisschen ein Franz Josef Strauß. Aber genau wie vor 50 Jahren ist das Thema immer noch: Was darf sich Politik erlauben? Heute hat allerdings kaum noch einer Lust, sich mit den kleinen Details zu beschäftigen.
Hat das auch Auswirkung auf die Sendung?
Ja, bei den heutigen Fernsehgewohnheiten kann man einen Politiker natürlich nicht mehr 15 Minuten lang über die Abwertung des Euros sprechen lassen. Ein "Panorama"-Bericht liefert heute nicht mehr einen breiten Blick auf eine globale Debatte. Er bietet Impulse, arbeitet konkrete Probleme heraus und bietet so eine neue Sichtweise auf eine Debatte. Weil Politiker aber immer lieber das große Ganze diskutieren anstatt sich an konkreten Problemen festzuhaken, gehen viele lieber in Talkshows.
Politiker verweigern sich dem Magazin?
Ja, das ist ein Problem. Deshalb muss der Reporter oft irgendwo hin fahren, wo er sie kriegen kann. Solche Spontaninterviews, wie wir sie nennen, werden oft als Überfalljournalismus gesehen. Aber das ist absurd, denn man muss Politiker doch jederzeit befragen dürfen.
Die ARD hat sechs verschiedene Polit-Magazine, die sich montags und donnerstags abwechseln. Sehen Sie darin ein Problem?
Ja, in der Vergangenheit gab es aus dem NDR immer wieder die Anregung zu prüfen, ob eine solche Vielzahl auf zwei Sendeplätzen sinnvoll ist. Dieser Vorschlag stieß nie auf große Begeisterung. Aber wie sollte man auch die schwierige Frage lösen, wer abgeschafft wird und wer nicht?
Interview: Angelika Kahl
Anja Reschke, "Die Unbequemen. Wie Panorama die Republik verändert hat" (Redline, 219 Seiten, 19,99 Euro)