Im Namen des Volkstheaters!

von kulturvollzug

Kantiger Wahrheitssucher oder Don Quichotte? Friedrich Mücke als Tomas Stockmann. Foto: Arno Declair

Immer wieder erstaunlich, wie modern Henrik Ibsen ist: Im  Volkstheater inszeniert Bettina Bruinier Ibsens "Volksfeind" vordergründig als Öko-Stück und hinterkünftig als Parabel über Verführbarkeit in einer Demokratie. Was macht man nur mit dem „stärksten Mann“, dem, „der allein steht“? Man kann ihn bewundern, den Kopf schütteln über seine Unbeirrbarkeit, ihn ob seiner einsamen Opposition zum Feind aller stempeln und vielleicht sogar später endgültig zum Schweigen bringen. Henrik Ibsen bewunderte seinen „Volksfeind“. Mit diesem unbeugsamen Wahrheitssucher wollte er es auch seinen Kritikern heimzahlen und aufzeigen, wie leicht doch eine Mehrheit zu mobilisieren ist. Im Volkstheater aber soll man sich, der man als Zuschauer zum „Volk“ gehört, auch noch reiben an dieser Gestalt. Man soll sich eine Meinung bilden zu dem, was der Kurarzt Tomas Stockmann gegen den Widerstand seines Bruders Peter, des Bürgermeisters, an die breitere Öffentlichkeit bringen will. Man wird aufgefordert, über diese Wahrheit und ihren Künder abzustimmen: Das Kurbad, seit geraumer Zeit Quelle des Wohlstands im Ort, wird aus verseuchten Quellen gespeist. Man müsste es schließen, die Leitungen erneuern, Abwasser entsorgen, einige Industrie-Dreckschleudern schließen. Es geht um alles: die Wahrheit und die Umwelt! Aber das kostet. Und die Profiteure, die Anteilseigner, die man eigentlich zur Kasse bitten wollte, sind ihrerseits klamm und können nicht helfen. Was fängt man mit der Zumutung dieser kostspieligen Prinzipientreue an? Soll Tomas Stockmann zum „Volksfeind“ erklärt werden? Was meint das verehrte Publikum? Es ist ein spannendes, gegenüber der Vorlage stark verkürztes Stück Theater, was Regisseurin Bettina Bruinier und Dramaturgin Katja Friedrich aus dem Ibsen-Text gewonnen haben. Wenn sich die Stockmann-Brüder, Arzt und Bürgermeister, im Gemeindesaal streiten, scheint die Stimmung im Theater nah am Kippen zu sein. Robin Sondermann als Bürgermeister Peter Stockmann und Friedrich Mücke als Tomas Stockmann überzeugen nicht nur in dieser Szene. Das ist so beiläufig und souverän auf Eskalation hin geschnoddert, dass man kurz befürchtet, das Treiben auf der Bühne entgleise gerade.

Was tun? Ratlosigkeit herrscht in der Badeanstalt bei Xenia Tiling, Friedrich Mücke, Stefan Ruppe, Kristina Pauls, Wolfram Kunkel, Mareile Blendl und Jean-Luc Bubert (v.l.) Foto: Arno Declair

Xenia Tiling spielt die Immobilienverbandsvorsitzende Aslaksen: eine bedenkentragende Profitjägerin, die sich als Politikerin sieht und von der Aufmerksamkeit immer ein bisschen peinlich berührt wirkt. Jean Luc Bubert als Redakteur Hovstad und Stefan Ruppe als sein Praktikant liefern die Karikatur zweier Journalisten ab, die aufklären, solange Profit winkt oder zumindest keine Gefahr droht, die aber das Gemeinwohl schnell auch woanders orten können, so lange es sich mit ihrem eigenen Wohl deckt. Prinzipien kennen sie kaum, nicht mal die des Handwerks: Keine Scherze mit Namen! Da wird denn Ibsens Stück auch ganz schnell mal zum Klamauk. Ebenso asig, aber nicht so nah am Schwank: Wolfram Kunkel als Morten Kiil.

Fürchtet um sein Lebenswerk und die Einnahmequelle des Ortes: Bürgermeister Peter Stockman (Robin Sondermann, vorn). Foto: Arno Declair

Stiller sind über weite Strecken die Frauen neben Alskasen: Kristina Pauls als Stockmanns Tochter, Mareile Blendl als seine Frau Katrine. Nordisch kühl steht Katrine da, raucht Zigarette um Zigarette, zusehends versteinernd: Es ist ja zu bewundern, wie Tomas an der Wahrheit festhält. Aber wo bleibt die Familie? Wann wandern wir aus? Ihr inneres Drama ebenso wie das der anderen Akteure hat das Volkstheater in den Videoclip ausgelagert (media art: Kerstin Polte): Unter Wasser, in einem Bassin, schweben die Figuren groß über die Rückwand. Das kann auch mal plakativ wirken, etwa, wenn vor Tomas Stockmanns Haus der Mob tobt: Da glimmt ein bisserl arg didaktisch der Vorhang, während hinter ihm die Schemen der „schweigenden Mehrheit“ sichtbar werden. Insgesamt aber sorgt die Video-Hintermalung im Verein mit Markus Karners klarem Bühnenbild für eine wasserkühle, luftblasendurchperlte Kurhaus-Atmosphäre (Licht Günther E. Weiß) , durch die ab und zu Pascal Fligg als Kapitän Horster geistert, abgehoben (auch von der Gesellschaft), aber mutig, der gute Mensch des Badeortes.

Das Innenleben fällt ins Wasser: Videosequenzen eröffnen beim Volkstheater weitere Ebenen (mit Stefan Ruppe, Jean-Luc Bubert, Kristina Pauls). Foto: Arno Declair

Ja, was macht man nun mit dem Künder Stockmann? Einspruch dagegen, dass wir ihn zum Volksfeind erklären? Als Publikum kann man machen, was man will – eine gänzlich richtige Entscheidung wird man nicht fällen. Ist man gegen Stockmann, ist man auch gegen die Wahrheit. Nicht weiter schwierig ist es, im Theater mitzumachen und die Hand zu heben. Entscheidet man sich so, ist man einer von den Guten (hoffentlich ist das die Mehrheit) und hat sich vielleicht doch nur von einem – nochmals sei es gesagt – überzeugenden Stück Theater manipulieren lassen. Ähnlichkeiten zu anderen Großprotesten schweigender Mehrheiten sind aber sicher zufällig.                                       Jan Stöpel

Veröffentlicht am: 28.11.2010

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