Unwort des Jahres! Die Subkultur zwischen Gehabe und Partyblitzkrieg - eine Münchner Debatte

von kulturvollzug

Netze und Schäume, Datenautobahnen, Schnatterräume und Zwitscherräume. Foto: Florian Reif

Horribile dictu: In München gibt es eine Subkultur-Debatte. Ausgehend vom Ende des Puerto Giesing und einer neuen Veranstaltungsreihe im Stadtmuseum (wo, wie sich angedeutet hatte, das Macher- und Macherinnen-Team gerade auseinander gebrochen ist) blickt man neu und bilanzierend auf ein für die Stadt ungewohntes Thema. Der Kulturvollzug hatte mehrmals berichtet; unter anderem gab es ein selbsterklärtes Pamphlet von Jörg von Brinken. Hier nun ein neuer Anlauf auf das "Sub", von Kulturvollzug-Mitarbeiter Michael Wüst. (gr.)

Jede Epoche sucht sich in einem Bild wiederzuerkennen. Das Personal der Epochen will und muss sich erkennen, sich in derselben Zeit befindlich ausweisen, mit Flagge, Mode, Abzeichen, Signé oder Tag (im Sinne von Tag=engl. Marke). Die Welt bleibt vermutlich gleich, nur ihre Abbilder wechseln, verhüllen die Wahrheit in verschiedenen Formen. In Epochen zum Beispiel. So gesehen, verstehen sich verronnene Ereignisse einer gewissen Zeit, die sich einem gewissen Zeitgeist verschrieben hatten, als Epoche. Weltkostüm. Mit Symbolen, Begriffssystemen, der Technik der Naturbeherrschung werden Achsen und Ordnungen konstruiert, wird ein Guckkasten aufgestellt, in den sich die Erscheinung von Welt projizieren lässt. Eine lange Phase der Metaphysik schloss sowohl die Bewohner der Scheibe, wie die bereits unter zentrifugalen Kräften leidenden Bewohner des Globus in einer holozentrischen Ordnung ein. Die Exklusion Gottes selbst schloss den Kuppelbau. Eine vertikale Ausrichtung, vertikale Achsen waren die Zentren, an denen Macht angesiedelt werden konnte. Hier befanden sich im Auge des Weltenwirbels Gott und der Teufel, hier herrschte die Ordnung des Oben und Unten.

Das ist vorbei. Spätestens seit den beiden Weltkriegen, Hiroshima und vor allem seit dem Holocaust ist die Hölle der Tiefe entstiegen. Der Tod Gottes, so von Philosophen behauptet, sein Sterben in der Sphäre der Metaphysik hat es ungemütlich werden lassen auf dem windigen Boden des Global Village. Gottes Verschwinden scheint ein offenes Schiebedach im All hinterlassen zu haben, was hinieden für ordentlichen Durchzug sorgt. Alles, was kurzfristig die Gesellschaft in Geborgenheit zu hüllen scheint, stellt sich im Platzen heraus, als das, was es war, die Blase. An allen Seiten des öffentlichen Raumes stehen also seitdem die Blasenapparate, die in windigen Zeiten, frei nach Sloterdijk, die Architektur der Postmoderne produzieren, die Architektur der Schäume. In der globalen Schaumparty der Postmoderne gibt es keine Achsen, kein Oben oder Unten, keine Topographie und natürlich keine Klarheit.

Netze und Schäume, Datenautobahnen, Schnatterräume und Zwitscherräume. Virtuelle Schäume, in denen Freunde sich hinzufügen und gegenseitig auf Fotos markieren, in denen Zwitscherer Followers heißen. Von diesen Räumen wird behauptet, sie seien die neuen öffentlichen Räume. Mit Vorliebe wird gerade dies von der herrschende Politikerklasse behauptet. Auf der anderen Seite, der Wutzettelkasten des Mobs, der Blog. Hier schleift sich der Verlierer im Verteilungskampf der digitalen Räume die Zehennägel und klopft oftmals eine gefährlich lächerliche Mischung aus Wort-Guillotine und Jargon herunter. Der Blog ist der Pranger im virtuellen, öffentlichen Raum. Netze, Schäume, trübes Fischen. In den neuen virtuellen öffentlichen Räumen toben Verteilungskämpfe und ortlose Territorialansprüche. Anachronismen innerhalb eines in Wahrheit sehr weitgehend rechtlich geordneten Netzes: Piraten, Freibeuter, Gefangene in Netzen baumelnd. Der Fluch der Karibik pixelt in den Adern so manchen Users der sieben Weltdatenmeere. Assange, der große Flint. Sieben Mann um des toten Mannes Kiste. Erbitterte Kämpfe um Gefolgschaft. Die Freibeuter der Netze kämpfen um ihre Follower. Netzromantik.

Ein böses Gemetzel gibt es jetzt wegen des heftig umstrittenen Begriffs Subkultur. Der Begriff selbst ist so überholt wie das Gehabe der Netz-Freibeuter. Schon dem 19. Jahrhundert gelingt mit der Hausbaustruktur der menschlichen Psyche im dreistöckigen Es-Ich-Überich eines Sigmund Freud nicht mehr die Kernsanierung eines vertikalen Aufrisses – nicht einmal im Virtuellen, in der Projektion ins Psychische.

Oben – Unten verschwindet in der Menagerie eines Philosophiezirkusses neben Zukunftsattraktionen wie der Paarbildung aus Frau ohne Kopf und Mann ohne Unterleib. Das Sub bei Subkultur ist so überflüssig wie in Subhose, Subhaltung oder Subgiesing.

Aber so wie die herrschende Politikklasse das Fischen im trüben Netz wohlmeinend mit öffentlicher Hand beschirmt, so liebt sie auch den Begriff der Subkultur. Der Sozialdemokratie will die Subkultur immer wie ein Quell der Erneuerung erscheinen. Eine Erneuerung durch Subkultur – im Begriffsbild schwingt irgendwie unangenehm das Bild der Blutsauffrischung –eine solche Erneuerung passiert vielleicht das letzte Mal im 19. Jahrhundert, als der Begriff noch namenlos in den Netzen der Zukunft schwirrt - flottiert. Subkulturelle Wesen des 19. Jahrhunderts sind damals die Volkssänger, die Stegreifdichter, die Coupletschreiber – und daraus entsteht sehr wohl etwas, nämlich das Volkstheater und das Kabarett. Aber, wie gesagt, diese schöne Phase in der Epoche des 19. Jahrhunderts, die wir mit Wehmut betrachten, kam ohne den Begriff Subkultur aus. Eine Verhüllung des Ereignisses in einem Begriff schien noch nicht notwendig. Es ging auch nicht um Kommerzialisierung eines Phänomens in Echtzeit.

Was 100 Jahre später aufregen sollte, ist die so genannte Hippie-Rebellion. Spricht man da von Subkultur? Nein, Underground ist da die Losung, die Marke, der Tag. Die Wortmarke? Egal, Hippie, Beatnik, Flower-Power, Pop-Ob, diese riesige 68er-Chimäre, die über den ganzen Globus trampelt wie das Marsh-Mellow-Monster der Ghostbusters, wird eingekleidet in Begriffe. Investitur – Erklärung zur kommerziellen Volljährigkeit.

Ganz sicher losgelassen von der Kette wird der Begriff Subkultur angesichts einer besonders stark verunsichernden Bewegung am Ende der Grünen mit ihren Hohepriestern der Akzeptanz und der neuen Volksgesundheit. Hip Hop, Graffitis, Be-Boying, Urban Art, das entsteht zeitgleich mit dem Internet. Techno schließt sich an, mündet heute im Delta unzähliger Electro-Flüsse. Die große digitale Bewegung, die derzeit beginnt auszulaufen, ihr stand der Begriff Subkultur tatsächlich sehr gut, bedurfte es doch aufwändiger Expertisen seitens der Medien und der Ästhetikprofessoren ihr überhaupt irgendeine Nähe an das anzudichten, was wir eifersüchtig hüten, den Schatz, unseren Schatz, die Kultur. Eingebuddelt in der Walhalla.

Subkultur. War je einer stolz darauf, diesen Begriff zu tragen? Von den Kreateuren keiner. Undenkbar. Es waren immer die Veranstalter, die Vermarkter dessen, was irgendeinen Nimbus eines irgend Neuen hatte, die mit dem Begriff hausieren gingen.

Die Offizialkultur verleiht gern das Prädikat des Sub und öffnet somit die Tür zur Kommerzialisierung. Einkleidung, Investitur, Verhüllung der Wahrheit. Das Business beginnt. Ein Heer hungriger Veranstalter, Drittverwerter und Netzdrücker stürzt sich auf das Etikett. Plötzlich öffne sich angeblich das Tor zum Web 2.0, es wird hinzugefügt auf Teufel komm raus. Die Treuesten, sie folgen. New Media goes Flaschbier.

Fragwürdig ist die Aufgeregtheit um den Begriff Subkultur. Er interessiert doch gar nicht. Gibt es ihn überhaupt? Man sollte sich den Orden der Subkultur von der öffentlichen Hand gar nicht an die Brust stecken lassen. Von dieser Hand, die, nimmt man auch sie als Bild, selbst eine Usurpation des alten christlichen Symbols für Gott ist. Die Hand, die aus dem Himmel ragte, bevor Gott mit ihr das Schiebedach öffnete.

Fragwürdig aber auch ist die Terminologie der Netzdrücker, die sich anheischig machen, Anführer irgendeiner Rebellion im Trüben der Schäume zu sein: „One Nation under a Viertel“ Klingt nach GröVaZ, dem größten Veranstalter aller Zeiten. Wie wär´s mit Partyblitzkrieg?

Michael Wüst

Veröffentlicht am: 23.12.2010

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