Würdiges Ende einer großen Ära: Dieter Dorn triumphiert mit Kleists "Käthchen von Heilbronn", seiner letzten Inszenierung am Bayerischen Staatsschauspiel

von kulturvollzug

Dieter Dorn, bereit fürs letzte Gefecht. Copyright: Thomas Dashuber

Wohl zum ersten Mal in seinem Leben hat niemand auf seine Regie-Anweisung gehört. Nach zehn Minuten Applaus rief Dieter Dorn befehlend „Out!“ ins Publikum. Doch das feierte ihn und sein Ensemble unbeirrt weiter mit Jubelstürmen und Standing Ovations für sein „Käthchen von Heilbronn“. Mit dieser gewaltigen Kleist-Aufführung beendet Dorn seine zehnjährige Intendanz am Bayerischen Staatsschauspiel sowie ein großes Kapitel der Münchner Theatergeschichte, an dem er davor schon 25 Jahre an den Kammerspielen geschrieben hatte. Mit Dieter Dorn geht eine Ära zu Ende. Im Sommer 2011 gibt er die Intendanz ab an Martin Kusej. Mit dem „Käthchen“ hat Dorn noch einmal seinen Theaterkanon und sein Credo inszeniert.

Kaum jemand dürfte je „Das Käthchen von Heilbronn“ ungestrichen gesehen haben. Deshalb dauert es auch fünf Stunden (inklusive zwei Pausen). Aber man hat Kleists hochkomplizierte Spachsyntax auch noch nie in dieser sprachlichen Klarheit und Präsizion gehört, die einen von Anfang bis Ende in Bann zieht und alles verständlich macht. Sprache ist Dorns Credo Nr. 1.

Dieter Dorns letztes Aufgebot. Copyright: Thomas Dashuber

Nr. 2 sind die Schauspieler. Da kann er hier die Sterne seines Ensembles verschwenden bis in die allerkleinsten Rollen. Oliver Nägele ist ein scharfer Wüterich als Käthchens Vater Theobald, Cornelia Froboess eine höchst maliziöse Gräfin-Mutter, Jennifer Minetti eine groteske Kunigunden-Tante, Helmut Stange ein skurriler alter Diener Gottschalk. Heide von Strombeck verzaubert als Traumerzählerin, Rudolf Wessely als Hüttenbewohner Jakob Pech. Michael von Au als tragikomischer Rheingraf und Shenja Lacher als tumber Burggraf sorgen für Komik, auch in ihren Schwertkämpfen. Und und und - die 31 Darsteller plus Regieteam passen beim Schlussapplaus gar nicht nebeneinander an die Rampe.

 

Mit Graf Strahl und Käthchen hat Dorn ein Kleistsches Traumpaar inszeniert, wie es nur selten gelingt: Das traum- und wahnbefangene Käthchen spielt Lucy Wirth mit solch bodenständiger Überzeugungskraft, dass sie selbst die überstrapazierte Anrede „Mein hoher Herr“ jedesmal mit neuem Leben füllt. Und Felix Rech zeigt in der wahnsinnig schweren Rolle des Grafen vom Strahl eine Glanzleistung im ständigen Oszillieren zwischen der Verliebtheit, die ihm sein Adelsstand verbietet, und der Abweisung, die er wider Willen zeigen muss. Wie er in der Schlafszene, als er Käthchens Traumgeheimnis erfährt, neben und über ihr liegt, immer in Versuchung, die unterdrückte Zärtlichkeit körperlich zu erlösen: Das ist hinreißend.

Felix Rech und Sunnyi Melles. Copyright: Thomas Dashuber

Und Dorn hat mehrere solcher Momente inszeniert, wo alles hollywoodreif in einem Kuss münden müsste, aber er verweigert es. Dazwischen funkt die betrügerische Freifrau Kundigunde, die sich den Grafen Strahl krallen will, und er fällt auf ihre gefakte Schönheit herein. Sunnyi Melles spielt wunderbar komisch ein Kunstprodukt auf zwei Ebenen: Hier ein schlankes, elegantes Showgirl, dort ein verkrümmt hinkendes Krüppelwesen, das sie hysterisch kreischend zu verbergen sucht, sich dessen aber an ihrem Putztisch sehr bewusst ist.

Nr. 3 von Dorns Theatercredo ist die Regie. Und hier bedient er alle Genres: Vom konventionell chorisch inszenierten Femegericht bis zur Schauerromantik, von der Ritterparodie mit galoppierenden Pferden bis zur Personengroteske. Und so wie Dorn zeigt, was er mit Sprache und Schauspielerführung erreichen kann, zeigt er es auch in der Technik. Mit seinem kongenialen (T)Raumerfinder Jürgen Rose hat er weder Hintergrundbilder noch Maschinen geschont. Aus einer Styroporwand vor der Brandmauer bricht eine Engelssilhouette heraus, durch die steigt der Regisseur Dorn selbst als Spielleiter, winkt seine Schauspieler auf die Bühne und geht ab durch die Mitte - ein Statement des scheidenden Intendanten.

Jürgen Roses Bühnenbild Copyright: Thomas Dashuber

Rose und Dorn erfinden aus dem Nichts wunderbare Bilder und viel Theaterzauber. Feuerschein, explodierende Brandbomben, da fallen Schlösser in sich zusammen, bis nur das Skelett stehen bleibt. Außenräume werden mit ein paar Wandwinkeln zu Innenräumen, kleine Hütten versinken im Nichts, die weiße Brandmauer wird per Hintergrundbild dupliziert und dann wieder von einem schwarzen Hintergrund ironisiert. Dorns Bekenntnis zum Theaterguckkasten demonstriert sogar der Samtvorhang mit einem darauf projizierten Guckkasten.

Was er wirklich will, zeigt Dorn in seinen eigenen Auftritten aus dem Cherub-Umriss heraus: Erst als Spielleiter, am Schluss als Kaiser, der nachdenklich die Erinnerung an seinen eigenen Fehltritt wachruft und schließlich das Käthchen als Tochter an seine Brust drückt. Da zeigt sich die Kunst des offenen, transparenten Theaters, das auch ganz ohne Effekte nur durch Denken und Sprache wirkt.

Man muss hoffen, dass diese große Kleist-Aufführung, die ja nur bis zum Sommer läuft, uns wenigstens auf DVD erhalten bleibt.

Gabriella Lorenz

Veröffentlicht am: 15.02.2011

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