Märchenstunde für Neugierige: Zum Doppelabend mit Ravel und Zemlinsky im Nationaltheater

von Volker Boser

Ein Kessel Buntes bei L'Enfant et les Sortilèges: Tara Erraught (Das Kind), Chor und Statisterie. Foto: W.Hösl

Eine Teekanne tanzt Ragtime, Frösche singen ein Madrigal, das nach Monteverdi klingt – nichts scheint zusammen zu passen. Doch das Chaos hat Methode. Den „Geist der amerikanischen Operette“ wollte der Komponist beschwören und ließ sich dazu eine charmante Nummern-Revue unterschiedlichster Musikstile einfallen. Sie adelt den erhobenen Zeigefinger des Inhalts. Musikalisch hat Ravels 1925 uraufgeführter Einakter „L´Enfant et les Sortilèges“ nach einer Dichtung von Colette nichts von seinem Zauber eingebüßt - auch wenn ein Spitzenplatz im Repertoire nach wie vor in weiter Ferne scheint.

Was auch an der Handlung liegen mag: Ein unartiges Kind, das keine Hausarbeiten machen will, Geschirr zertrümmert und ein Eichhörnchen mit einer Schreibfeder verletzt, ist nicht abendfüllend, selbst wenn es sich plötzlich einem Albtraum ausgesetzt sieht. Die malträtierten Gegenstände beginnen sich zu wehren und geben nicht eher Ruhe, bis der Übeltäter Reue und Mitleid zeigt.

Regisseur Grzegorz Jarzyna versuchte es anfangs mit einem Gag. Ein Filmteam hat auf der Bühne sein Set aufgebaut. In einem seitlich geöffneten Container befinden sich die Kulissen für die Innenaufnahmen. Dirigent Kent Nagano lässt sich kurz blicken, um dann in den Orchestergraben zu verschwinden. Zum Glück vergisst das Regie-Team diese Idee alsbald (oder haben sich die Kameraleute ebenfalls in Tiere verwandelt?) – und das ist gut so.

So kann man diesen durch keinerlei inszenierte Psychologie aufgepäppelten Kindergeburtstag ungestört genießen, sich an den phantasievollen Kostümen (Anna Nykowska Duszynska) erfreuen und engagierte junge Sänger wie Tara Erraught, Okka von der Damerau, Laura Tatulescu oder Camilla Tilling bestaunen. Schwamm drüber, dass für diese filigrane Klangraffinesse das riesige Nationaltheater nicht unbedingt das beste Ambiente bietet. Schade allenfalls, dass der Dirigent auch dort, wo klare Kante angesagt war, allzu zurückhaltend musizieren ließ.

Verglichen mit Ravels Märchenstunde ist Zemlinskys „Zwerg“ von ganz anderem Kaliber. Eine Prinzessin bekommt zum achtzehnten Geburtstag einen hässlichen Zwerg geschenkt. Er hat sich noch nie im Spiegel gesehen. Am Ende wird er von der gelangweilten jungen Dame samt Hofstaat gezwungen, den für ihn tödlichen Blick zu wagen. Eine Bosheit von Oscar Wilde, zu der sich Alexander Zemlinsky eine effektvolle, spätromantisch konventionelle, eher vordergründig dramatische Musik ausdachte. Auch hierfür besaß Kent Nagano den Schlüssel. Er ließ das Staatsorchester schwelgen, ohne die Sänger zuzudecken.

Weil sich ein Zwerg auf der Bühne kaum darstellen lässt, erschien Tenor John Daszak in einem schwarzen Straßenanzug unserer Tage inmitten einer viktorianisch gekleideten Gesellschaft. Stimmlich bisweilen sehr angestrengt, zeigte er eine beklemmende Studie eines Außenseiters, der es als einziger wagt, sich zu seinen Gefühlen zu bekennen. Camilla Tilling als verwöhnte Infantin reagierte darauf gesanglich angemessen, Irmgard Vilsmeier als deren Zofe Ghita höchst eindrucksvoll. Ein Abend für Neugierige. Das Publikum verzieh die kleineren Durststrecken und klatschte heftig. Besser geht es schließlich immer.

Wieder am 3., 6., 9., 13., 20. März; Karten unter 2185 1920

Veröffentlicht am: 01.03.2011

Über den Autor

Volker Boser

Volker Boser ist seit 2010 Mitarbeiter des Kulturvollzug.

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