Provinz, typisch!
Die Kulturstadt München ist in Gefahr, unkt Isabell Zacharias - und irrt sich.
Kaum haben wir hier einen Kultur-Blog gestartet, ist es auch schon geschehen um die Kulturstadt München. Könnte man zumindest meinen, wenn man Isabell Zacharias zuhört. Vom Kulturschwund orakelte kürzlich die Kulturpolitikerin, von - böse, böse! - Provinzialität. Und vom Kulturminister, der daran schuld sei. „Ich bin echt sprachlos, dass der Kultur- und Kunstminister schon ein drittes Schwergewicht ziehen lässt“, sagte die Dame.
Wäre sie nur sprachlos geblieben. Stimmt schon: Einige Schwergewichte haben ihren Abgang aus München angekündigt. Der erste war Christian Thielemann, es folgte Gärtnerplatz-Intendant Peters, dann wurde der Wechsel von Chris Dercon vom Haus der Kunst an die Modern Tate in London bekannt, und zuletzt wurde gemeldet, dass Bayern den Vertrag mit Opern-Musikdirektor Kent Nagano nicht verlängern wird. Mit ein bisschen mehr pessimistischen Ehrgeiz hätte man auch den Abschied von Kammerspiele-Intendant Frank Baumbauer im vergangenen Jahr dazuzählen können, ebenso zuvor den Wechsel in der Direktion der Staatsgemäldesammlungen.
Die Zacharias-Zitate sind dennoch daneben, schon aus dem Grunde, weil sie einige Fälle über einen Kamm scheren, die nur auf den ersten Blick miteinander zu vergleichen sind. Nehmen wir Thielemann: Ein selbstbewusster Dirigent, einer, der einem Streit nicht unbedingt aus dem Weg geht – wie sein Abgang aus Nürnberg zeigte. Danach schmiss er seinen Job als Opernchef der Deutschen Oper Berlin. In München schrieb der Wagner- und Strauss-Spezialist den Philharmonikern vor, was und unter welchen Gästen sie spielen durften. Das Orchester wiederum hätte gern mehr CDs eingespielt und Tourneen absolviert. Das Murren angesichts enttäuschter Erwartungen war unüberhörbar. Dann ist da der Fall Ulrich Peters; der hatte sich zuvor in Augsburg als Intendant eines Dreispartenhauses empfohlen. In München aber wurde sein Vertrag nicht verlängert. Warum, darüber darf man rätseln. Wahrscheinlich spielte die Quote eine Rolle. Ganz anders gelagert ist die Sache bei Kent Nagano. Der Amerikaner ist ein stiller, sehr nobler Meister, der in den vergangenen Jahren zum Liebling des Münchner Publikums avanciert ist. Allein, Opernintendant Nikolaus Bachler wollte nicht mehr mit Nagano, man darf von gestörter Chemie zwischen Intendant und Musikdirektor ausgehen. Und Chris Dercon? Etablierte das so vorbelastete „Haus der Kunst“ international als Ausstellungsort und darf sich mit seiner Berufung nach London über ebenso internationale Anerkennung freuen.
Was die Fälle gemeinsam haben? München verabschiedet in den nächsten Jahren bedeutende, aber teilweise auch umstrittene Künstler und Kulturmanager. Wechsel und Umbruch gehören aber nun einmal dazu, dazu braucht es gar keinen Kulturminister. Es findet eine Ablösung statt. Die Philharmoniker wird bald Lorin Maazel dirigieren. Gut, kein jugendlicher Genius, aber doch einer der großen Dirigenten unserer Zeit. Auf Peters am Gärtnerplatz folgt Operetten- und Musical-Spezialist Josef Ernst Köpplinger. Und Dercons Wechsel nach London darf man auch als Lob für die Landeshauptstadt sehen: Nur auf einer guten Bühne kannst du dich auch international empfehlen. Und für Baumbauer fängt heuer im Herbst ja endlich Johan Simons an den Kammerspielen an. München provinziell? Ja, das ist das Mantra aller Münchenkritiker. Vor allem der provinziellen.