Startschuss für neue Ermittler: Das neue Münchner "Polizeiruf 110"-Team stellt sich beim Filmfest vor
München bekommt ein neues "Polizeiruf 110"-Ermittlerteam. Die ersten beiden Folgen mit Matthias Brandt und Anna Maria Sturm sind heute auf dem Münchner Filmfest zu sehen.
"Früher waren hier überall Kneipen, in denen Menschen mittleren und höheren Alters zu Mittag aßen und ins Gespräch kamen. Aber sollte noch irgendetwas irgendwo ein eigenes Gesicht haben, wird es von den Brauereien derart verunstaltet, dass die jetzt noch darin Lebenden gar nicht merken, wie tot sie schon sind." Eigentlich wollte Hauptkommissar Hanns von Meuffels (Matthias Brandt) von der ehemaligen Kommissarin Serrano (Doris Kunstmann) nur etwas über einen lang zurückliegenden Mord erfahren. Doch das Nordlicht bekommt eine Einführung in sein neues Ermittler-Umfeld gleich oben drauf. In den Läden an der Leopoldstraße könne man sich mit niemandem mehr unterhalten - "... im Zeitalter der Babyscheiße", erklärt Serrano, früher zuständig für Familienangelegenheiten. Selbst am Chinesischen Turm säße nur noch "Jungvolk mit Kinderwägen und Mitgebrachtem aus biologischem Anbau".
Innerlich tote Kneipenbesucher interessieren den neuen "Polizeiruf 110"-Kommissar in seinem ersten Fall "Cassandras Warnung" aber gerade wenig. Ohnehin macht von Meuffels nicht den Eindruck, als hätte er viel Spaß daran gehabt, am Turm zu feiern und danach im alten Adriabis morgens um drei Uhr bierbeseelte Gespräche zu führen. Der zurückhaltende, etwas altmodisch elegant wirkende Mann sucht den Mörder von Diana Vogt (Alma Leiberg), Ehefrau seines Kollegen Gerry (Ronald Zehrfeld). Schnell stellt sich heraus, das Opfer ist nicht Diana, sondern deren Freundin, die überraschend zu Besuch kam. Verdächtig ist Cassandra, die verschmähte Affäre des Polizisten-Gatten. Und auch die scheint den Irrtum schon bemerkt zu haben. Wird sie noch einmal zuschlagen? Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt, der mit einer großen Überraschung endet.
Mit dem Auftaktfilm des neuen "Polizeiruf 110"-Gespanns Matthias Brandt und Anna Maria Sturm gehen Autor Günter Schüttler und Regisseur Dominik Graf gleich in die Vollen. Sie halten sich gar nicht erst damit auf, die Zuschauer mit den neuen Ermittlern langatmig bekannt zu machen. Anna Burnhauser (Sturm), eine junge Polizistin auf dem Land, ist ohnehin noch weit davon entfernt, durch von Meuffels als künftige Assistentin erkannt zu werden. Der Fall ist, wenngleich komplex, extrem packend. Und erinnert in manchem Moment an Dominik Grafs Mafia-Saga "Im Angesicht des Verbrechens" - nicht nur weil Ronald Zehrfeld wieder eine Hauptrolle spielt. Die drastischen Bilder und vor allem die Sprache könnten so manchen Fan der gemütlichen MDR-"Polizeiruf"-Ermittler Schmücke und Schneider vom Sofa hauen. "Hat Cassandra eine Tätowierung", will von Meuffels von Gerry zum Beispiel wissen. Die Antwort: "Fick ich eine Frau oder ein Malbuch?"
Ein starkes Autoren- und Regisseurs-Gespann hat der BR auch für den zweiten Fall der neuen Münchner "Polizeiruf"-Ermittler engagiert. Christian Jeltsch hat das Buch zu "Denn sie wissen nicht, was sie tun" geschrieben, Hans Steinbichler den Fall inszeniert. Und auch der ist ungewöhnlich, wenn auch auf ganz andere Art als "Cassandras Warnung". Nach einem Fußballspiel fliegt im U-Bahnhof eine Bombe in die Luft. Der junge Selbstmordattentäter liegt im Sterben, und nur er weiß, wo sein Komplize eine zweite Bombe hochgehen lassen will. Mitleid, Wut, Verzweiflung, Angst - mit von Meuffels steigt auch der Zuschauer in eine düstere Achterbahn voller gegensätzlicher Gefühle, die so manchen Zuschauer bis an die Schmerzgrenze fahren könnte.
Beide Krimis fallen auch durch die starke Besetzung der Mit-Ermittler auf. Fast ist man enttäuscht, dass man Figuren wie die Polizisten McFly (Phillip Mogg) oder Ari Ben Kanaan (Samir Fuchs) aus "Cassandras Warnung" im zweiten Fall nicht wiederfindet. Entschädigt wird man dann aber mit Saskia Vester und Sigi Zimmerschied, der auch in den nächsten Fällen immer wieder auftauchen wird. Die beiden Hauptermittler werden auch in "Denn sie wissen nicht, was sie tun" nicht vollständig ausgeleuchtet. Doch Stück für Stück bekommt der Zuschauer auch Einblick in die Innenwelt des Kommissars - entdeckt zum Beispiel sein großes menschliches Mitgefühl. Auch für Brandt eine spannende Angelegenheit: "Für mich ist das wie bei einem Kriminalfall", sagt er. "Ich verfolge, was von Meuffels angeht, bestimmte Spuren und manche sind viel versprechender als die anderen."
Rio Kino 1: "Cassandras Warnung", heute 16.30 Uhr; "Denn sie wissen nicht, was sie tun", heute 19 Uhr