Zur Denkmalpflege in Bayern
Mit Liebe, Entrüstung und Wut fürs Denkmal
Bayerns oberster Denkmalschützer Egon Johannes Greipl über das Denkmalsterben im Freistaat, den tobenden Streit um den Münchner Konzertsaal und lästige Investoren.
Seit Jahrzehnten kämpft er um den Erhalt von Denkmälern und historischen Kulturlandschaften. Seiner Entrüstung und Wut lasst Egon Johannes Greipl, Generalkonservator vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege, dabei gerne freien Lauf. Ob bayerische Dörfer, Energiewende oder neuer Konzertsaal in München - der 63-jährige hat das historische Erbe Bayerns stets fest im Blick.
Professor Greipl, gibt es in Bayern ein Denkmalsterben?
Der Schwund und die Bedrohung sind in der Tat gewaltig. Im Freistaat gibt es rund 120.000 Baudenkmäler, von denen 3000 akut gefährdet sind. Da geht es nicht um Kirchen oder Schlösser, sondern um Zeugnisse des Lebens der einfacheren Leute, unserer Vorfahren. Esc geht um Bauern-, Handwerker- und Bürgerhäuser.
Verlieren die bayerischen Dörfer dadurch allmählich ihr Gesicht?
Sie haben es zum größten Teil schon verloren. Ganze Hauslandschaften sind verschwunden, sie existieren nur mehr in unserer Erinnerung, auf Fotos, in Museen und in der Fachliteratur. Der Verlust von gebauter Geschichte ist unübersehbar. Aber mein Eindruck ist: Dafür interessiert sich keiner so richtig?
Was können Sie tun?
Wir kämpfen überzeugt und hart jeden Tag um jedes Denkmal. Wir wollen die Leute gewinnen! Wir verweisen seit Jahrzehnten geradezu gebetsmühlenartig auf den materiellen und immateriellen Wert der gefährdeten Denkmäler und Ortsbilder. Und wir fordern ebenso gebetsmühlenartig die unverzichtbaren finanziellen Grundlagen. Um das, was von der Vergangenheit, insbesondere in Dorf und Region noch da ist, zu halten, benötigen die Denkmäler finanzielle Anreize und einen ressortübergreifenden Ansatz.
Es sind also in erster Linie finanzielle Interessen, die dem Denkmalschutz entgegenstehen?
Nein, vor allem ist es der fehlende politische Wille. Geld ist doch da! Die Frage ist, wofür man es einsetzt. Schaut man sich die Entwicklung der für den Denkmalschutz seit 1990 bereitgestellten Mittel an, kann man nur zu einem Urteil kommen: Es ist erbärmlich! Und es geht so weiter! Im aktuellen Nachtragshaushalt wurden alle möglichen Projekte bedacht; der Erhalt des historischen Erbes aber nicht. Ich frage: Ist der Erhalt des historischen Erbes, der Baudenkmäler, der Bodendenkmäler, der historischen Kulturlandschaften überhaupt noch ein wichtiges Staatsziel?
Vor allem in der Ära Stoiber wurden die Mittel für den Denkmalschutz also stark gekürzt?
Ich möchte das gar nicht an einer bestimmten Person festmachen. Auch in Bayern hatte sich die Grundhaltung des Ökonomismus breitgemacht. Man glaubte, für alle Fragen böte das Instrumentarium der Ökonomie und des Marktes den passenden Schlüssel. Über Werte wurde dabei viel zu wenig diskutiert. Dazu trat das Allheilmittel der Deregulierung. Staatliche Regeln stellte man unter den Generalverdacht, jede Entwicklung zu bremsen. Der Neoliberalismus ist die entscheidende Fehlentwicklung gewesen. Mit einer wertkonservativen Haltung hatte das nichts mehr zu tun. Dass ausgerechnet die Schwarzen so flott auf dem Schiff des Neoliberalismus gefahren sind, hat mich gewundert.
Man sieht Sie als Bremser der wirtschaftlichen Entwicklung?
Dieser Vorwurf wird immer wieder aus der Mottenkiste geholt. Der Vorwurf ist eine Denunziation des historischen Erbes. Über 28 Millionen Touristen kommen jährlich nach Bayern. Würden die kommen, wenn es keine Denkmäler gäbe, Ortsbilder und Landschaften von historischer Bedeutung?
Und deshalb wollen Investoren beispielsweise ein historisches Gut in ein modernes Hotel umwandeln. Können Sie da was tun?
Wir helfen, dass die Geschichte und die Substanz des alten Hauses in der neuen Nutzung weiter lebt. Dazu muss sich der Bauherr auf das Denkmal einlassen und nicht drohen: Geht es nicht nach unseren Vorstellungen, geht es überhaupt nicht. Bei solchen Drohungen kriegen Gemeinderäte oft volle Hosen, statt sich solche Drohungen zu verbitten.
Das klingt frustrierend, gibt es auch Erfolgserlebnisse in Ihrem Job?
Ein Frustrierter kämpft doch nicht! Ich kämpfe, ich denke aber über vieles nach und erlaube mir aus Begeisterung für unser Land und seine geschichtlichen Zeugnisse gelegentlich Entrüstung und Wut. Erfolgserlebnisse gibt es Gott sei Dank nicht selten. Zum Beispiel war der Abbruch der alten Mainbrücke in Ochsenfurt, die in wesentlichen Teilen aus dem Mittelalter stammt, schon abgesegnet. Wir haben ihr Schicksal zum Guten wenden können. Die Reparatur wird sogar billiger als die Beseitigung und der Neubau. Das meiste geht, man muss nur wollen. Und man muss an schwierigen Probleme intelligent herangehen statt mit vorgefertigten Konzepten und Meinungen.
Kulturlandschaft in Mainfranken. Kommt auch sie bald unter die (Wind-)Räder? Ein paar Kilometer weiter bei Gochsheim ist es schon so weit (Foto: Achim Manthey/Archiv)
Apropos vorgefertigte Meinung: In der Diskussion um einen neuen Konzertsaal an der Stelle der alten Kongresshalle in München war OB Udes erste Reaktion sinngemäß: Weg mit dem alten Nazi-Bau.
Ja, auch hier wurden einige altbekannte Keulen aus der Mottenkiste geholt. Abgesehen davon, dass der Kongresssaal gar keine Nazi-Architektur ist, gilt: Auch NS-Bauten sind wichtige Zeugnisse - wenn auch für Verführung und Schuld, für Versagen und Verbrechen. Die zweite Keule war: Der Bau ist scheußlich und verwahrlost, er muss deshalb weg. Aber: Nicht das Gebäude ist eine Schande. Die Schande ist, dass man zugesehen hat, wie einer der monumentalsten Bauten an einer der städtebaulich wichtigsten und schönsten Straßen Münchens verkommt.
Man lässt ein Gebäude also so lange verkommen, bis man es nur noch abreißen kann?
Natürlich. Man spart sich Geld und hofft, dass irgendwann jemand sagt: Das gehört schon lange weg. Im Falle der Kongresshalle passiert jetzt aber etwas Vernünftiges. Mit der Machbarkeitsstudie wird die ganze Debatte auf eine rationale und fachliche Ebene gehoben. Und sollte das Ergebnis der Studie sein, dass das Projekt "machbar" ist, werden wir jede Lösung mittragen, die den hsitorischen Bestand garantiert.
Große Sorgen bereitet Ihnen auch die Energiewende. Warum?
Natürlich bin ich für die Energiewende - und das schon immer. Ich setze mich aber dafür ein, dass andere Werte dabei nicht unter die (Wind-)Räder kommen. Die Interessenkonflikte entzünden sich an der Frage, ob es Großwindanlagen in eindeutigen historischen Kulturlandschaften braucht. Oder Photovoltaikanlagen auf Kirchendächern. Dass Belange zum Schutz von Baudenkmälern und historischen Kulturlandschaften nicht von Anfang in die Planungen der Energiewende eingeflossen sind, halte ich für ein schweres Versäumnis. Die fortschreitende Verunstaltung und Zerstörung unserer Landschaften ist unübersehbar.