Nicht abweisend, nicht unwissenschaftlich: Wie Geschichte zum Publikumsrenner wird
Mit Veranstaltungen wie seinen Ringvorlesungen zur bayerischen Geschichte und seiner Sommerakademie im Kloster St. Bonifaz unweit des Königsplatzes feiert der Historiker Hans-Michael Körner etwas, was in historischen Wissenschaften selten ist: Publikumserfolge. Michael Weiser sprach mit Körner über den Charme kirchenpolitischer Themen und das Handicap des Schulunterrichts.
Die Aula im Kloster St. Bonifaz ist regelmäßig überfüllt, sogar im Foyer nehmen noch Menschen Platz, um Vorträgen über die Geschichte der Säkularisation zu lauschen. Überrascht Sie der Riesenerfolg für ein abgelegenes Thema?
Abgelegen? Das sagen Sie! Wissen Sie, ich bin Populist. Als wir mit der bavaristischen Ringvorlesung begannen, haben wir uns ein Thema ausgesucht, das ziehen musste: die Herrscher Bayerns. Aber mittlerweile ist diese Veranstaltungsreihe auch bei anderen Themen so gut eingeführt, dass sich Mittwoch für Mittwoch 800 Menschen im Audimax einfinden. Man entwickelt im Laufe der Zeit ein Gefühl für Themen, und Säkularisation ist in München ein Megathema. Ein Bier ist gut, aber ein Klosterbier ist besser. Und wenn wir die jüngsten Skandale außen vorlassen, heißt es noch immer: Eine Schule ist gut, aber eine Klosterschule ist besser.
Dennoch hört man immer wieder, wie altmodisch Geschichte sei, wie überflüssig in Zeiten, da man eher Ingenieure und Naturwissenschaftler braucht...
Ich habe 2003, genau 200 Jahre nach der Säkularisation, schon mal zusammen mit der Akademie der Wissenschaften und der Katholischen Akademie eine Veranstaltung gemacht. Diese Veranstaltung zog, mit Ausnahme einer Tagung zur Gentechnik, die meisten Zuhörer in die Katholische Akademie. Wir haben, das ist eine kleine Ironie der Geschichte, die Vorträge zum Beispiel über Montgelas per Video in die Hauskapelle übertragen. Da saßen auch noch mal 100 Zuhörer.
Bei so viel Begeisterung für die alten Klöster muss man sich wundern, dass noch kein Anschlag auf das Montgelas-Denkmal am Promenadenplatz verübt wurde...
Menschen, die sich für derlei Themen interessieren, neigen nicht zur Gewalt in irgendeiner Form.
Was unterscheidet die Sommerakademie und die bavaristische Ringvorlesung von anderen Versuchen, Geschichte an den Mann zu bekommen?
Es gibt in Bayern ein großes Interesse an bayerischer Geschichte. Gleichzeitig ruhen viele Gespräche über Geschichte auf zwei disparaten Säulen: Entweder, sie werden hochspezialisiert und akademisch geführt, oder sie befassen sich mit Kitsch, irgendwo im Klischee-Dreieck zwischen Biergarten, Wieskirche und Oktoberfest, nach dem Motto: Was Bayern so bayerisch macht. Ich habe eine Nische gefunden. Die Leute gehen zur Ringvorlesung oder zur Sommerakademie, weil sie einerseits populär und überhaupt nicht abweisend ist. Auf der anderen Seite ist so ein Vortrag wie kürzlich der von Karl Hausberger („Konsequenzen und Fernwirkungen der Säkularisation“, Anm. der Redaktion) trotzdem hart an der Wissenschaft. Diese Kombination überzeugt.
Den Geschichtsunterricht haben viele Menschen als stinklangweilig in Erinnerung. Was machen Lehrer falsch?
Der Geschichtsunterricht hat es natürlich schwer. Anders als in anderen Fächern darf hier nur abgefragt werden, was in der Stunde davor behandelt wurde. In jeder Sprache oder in jedem naturwissenschaftlichen Fach müssen Sie dagegen im Prinzip alles können, was bis zu diesem Zeitpunkt besprochen wurde. Die Beschränkung für den Geschichtsunterricht ist widersinnig! Deswegen fehlen in der Geschichte auch die Zusammenhänge, der Blick auf das große Ganze. Außerdem ist Geschichte schwer zu greifen. Ein Physiklehrer, der eine schiefe Ebene erklärt, kann eine Kugel über eine schiefe Ebene rollen lassen, der Biologielehrer zum Thema Anatomie ein Skelett in den Saal rollen. Das kann der Geschichtslehrer nicht. Die Vergangenheit ist vorbei und nicht mehr da. Es fehlt das Haptische.
Da bieten neue Medien und Methoden wie die 3-D-Visualisierung ungeahnte Möglichkeiten.
Ich glaube auch, dass so etwas noch stärker kommt. Nur sind neue Medien nicht so sehr ein Problem für die Schüler, sondern für die Kompetenz der Lehrer. Und die hinken oft hinterher. Ohnehin sollte man als Lehrer in sich hineinhören, was man draufhat, ob man mit diesen neuen Medien überhaupt warm wird. Ich wurde mal gebeten, für die Kinder-Uni einen Vortrag über Ludwig II. zu halten. Und dann wurde ich dauernd gefragt, was ich brauche, Powerpoint, Folien oder dergleichen. Ich antwortete, dass ich nur Kreide, eine Tafel und ein Standbild vom Piloty-Gemälde „Ludwig im Krönungsornat“ benötige. 800 Kinder hörten eine Stunde lang zu und man hätte eine Stecknadel fallen hören können.
Welches Thema würden Sie am liebsten beackern?
Die Ringvorlesung zieht sich ja immer über zwei Semester hin. Ich gehe nach dem Sommersemester 2012 in den Ruhestand und möchte meinen Nachfolger nicht auf irgendetwas verpflichten. Ob man als Emeritus gut beraten ist, sich in so etwas einzumischen, weiß ich nicht. Das ist bei der Sommerakademie anders. Ich stelle mir wieder etwas Kirchenpolitisches vor. Themen staatskirchlicher Provenienz gehört meine Zuneigung. Ich habe ja auch über das Thema „Staat und Kirche in Bayern“ promoviert. Ein Thema wie der Kulturkampf in Bayern oder das Verhältnis zwischen Kirche und Drittem Reich könnte ich mir gut vorstellen.
Das Dritte Reich könnte überhaupt ein Thema sein, immerhin findet die Sommerakademie in Nachbarschaft zum ehemaligen Parteigelände der NSDAP und zur künftigen Dokumentationseinrichtung statt.
Das sind wichtige Themen, gewiss. Aber man muss sich auch fragen, wo man sein Alleinstellungsmerkmal hat. Man braucht ein Spezifikum. Mit dem Dritten Reich beschäftigen sich schon andere Einrichtungen. Und einer Benediktinerabtei stehen kirchengeschichtliche Themen gut an.
Sommerakademie, "Das Ende der Bavaria Sancta. Die Säkularisation von 1803 und ihre Folgen." Heute, Mittwoch abend, spricht Katharina Weigand über "Das Königreich Bayern und die Säkularisationsverluste: die Versuche der Wiedergutmachung unter Ludwig I."; Demnächst:
27. Juli, "Die Debatte um die Säkularisation von der zeitgenössischen Wahrnehmung bis in die Gegenwart"; 3. August, "Die Bayerische Staatsgemäldesammlungen und die Säkularisation". Alle Vorträge im Zentrum St. Bonifaz, Beginn jeweils 20 Uhr.