Wir sind alle ein bisschen Japan: Der Sänger Camui Gackt sucht sein Glück mit neuer Band auf dem Hardcore-Weg

von Clara Fiedler

Idol aus Japan: Gackt. Foto: Nagodo Entertainment

Da hat er sich was vorgenommen, der zierliche Mann, der sich da auf der Bühne im Backstage-Werk die Seele aus dem Leib singt. Kamui bedeutet nämlich nichts Geringeres als „Der Gott vertritt“. Eine Art Engel? Camui Gackt gibt sich alle Mühe, nicht wie einer rüberzukommen. Mit „Yellow Fried Chickenz“ versucht er es insgesamt europäisierter, härter und – ja, man möchte sagen – konformer.

Denn es ist egal, dass drei Gitarristen teilweise schon arg auf ihre Instrumente eindreschen. Es ist auch nicht so wichtig, dass Luna-Sea-Schlagzeuger Shinya doch gelegentlich die Grenzen zwischen Lärm und Musik überschreitet. Und es stört auch nicht viele, dass der zweite Sänger den eher unjapanischen Namen Jon Underdown trägt. Denn Gackt ist und bleibt unverwechselbar, egal, vor welchen Hintergrund man ihn stellt.

Er ist eine Marke und als solche wird er auch nicht konformer. Höchstens das Konzept, mit dem er sich präsentiert. Und der ein oder andere Fan vermisst vielleicht die Zeiten, in denen der inzwischen wieder blonde Japaner mit dieser sarkastischen Poesie und der skurrilen Ästhetik aufwartete, mit der der japanische Musikstil Visual Kei generell begeistert.

Aber er ist immer noch da. Und das wird vor allem in den A-cappella-Passagen deutlich. Seine Stimme hat sich kaum verändert, sie ist immer noch so tief wärmend und asiatisch leicht zugleich, sie geht direkt ins Herz, wenn er auf japanisch singt. Das würde sie auch auf Englisch, wenn er die doch etwas gehäuft auftretenden Kraftausdrücke unterlassen würde.

Und da sind wir wieder bei dem neuen Gackt. Denn wie so viele Japan-Rock-Kollegen ist er ein Meister der Selbstdarstellung, erfindet und inszeniert sich von Show zu Show neu. Der begnadete Pianist, dessen schlanke Hände bei Malice Mizer noch unter einem monströsen Kostüm gerademal hervorlugten, tritt jetzt nur noch als Sänger auf. Und zwar in weißem Hemd und Krawatte, kommt aber nicht los von dieser typisch-japanischen Theatralik, mit der er Songs wie „LU:NA“ und „Jesus“ untermalt.

Für europäische Augen fast schon affektiert schleichen die beiden Sänger umeinander herum, inszenieren das Ganze als gegenseitige Verführung, was auch nicht weiter seltsam anmutet, denn man befindet sich optisch im Niemandsland. Gitarrist Chachamaru wird von Nichtwissenden generell erst in dem Moment als Mann identifiziert, in dem er sich das Oberteil vom Leib reißt, dem Protagonisten braucht man nur ins Gesicht zu sehen: Hohe Wangenknochen, volle Lippen, ein Paar etwas müde wirkender Mandelaugen. Zierlich sind sie alle. So richtig asiatisch. Und dann feiern sie den Hardrock mit einer Energie, die einen daran zweifeln lässt, ob es wirklich ihre eigene ist.

Am Ende vermisst man wirklich diese Kreativität und den Ideenreichtum, die bei Gackts ehemaligen Band GacktJOB noch eher im Vordergrund standen. Faszinierend ist es dennoch, wie diese Stimme über einem Klanghintergrund steht, der der Soundtrack zur völligen Zerstörung sein könnte. Strukturen sind schwer zu erkennen, Gitarrenakkorde übersteigern sich durch Verzerrer zum Geräusch.

Nur manchmal blitzt dieses Weiche durch, mal mit Akustikgitarre, mal mit einem Klaviersample. Dann steht man da zwischen all den Mädchen, die sich nicht zwischen Gothic und Lolita entscheiden konnten und damit im wahrsten Sinne des Wortes fabelhaft aussehen, und fühlt sich irgendwie zuhause. Es mag verrückt klingen, aber am Ende findet man die Vertrautheit in dieser fremdartig klingenden Stimme, dieser exotischen Sprache, und lässt das Bekannte hinter sich. Vertrautheit ist eben doch ein Gefühl, keine Gewohnheit.

Vielleicht steht sein „Kamui“ für genau diese Lektion. Dass es Dinge gibt, die keine Sprachbarrieren und auch keine Abhängigkeit kennen. Dass diese Dinge, diese Gefühle einfach da sind und er nur einer unter diesen vielen wunderbaren Menschen ist, die uns den Zugang dazu ermöglichen. Denn wie schon gesagt: Egal welche Show, egal wie dreist die Schimpfwörter in den Ansagen, egal wie abstrus die Kostüme, egal wie hart und undefinierbar die Musik: Gackts Charisma bleibt.

 

 

Veröffentlicht am: 04.08.2011

Über den Autor

Clara Fiedler

Redakteurin

Clara Fiedler ist seit 2011 beim Kulturvollzug.

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Janine Mohns
09.08.2011 12:40 Uhr

Hallo,

ich war heute überrascht diesen Kommentar zu lesen und ich muss sagen, ich bin hin und her gerissen.

Auf der einen Seite stimme ich all dem Gesagten in großen Teilen zu, aber:

Wer sagt, dass es GACKT Job nicht mehr gibt????

GACKT kam mit seiner Band \"YELLOW FRIED CHICKENz\", einem Projekt, dass neben seiner Solo-Karriere läuft!!!

Jedes seiner Mitglieder ist ein Meister seines Fachs, vor allem Chacha weiß genau, was man aus einer Gitarre heraus holen kann. Außerdem hat GACKT sein altes Selbst nicht hinter sich gelassen, sondern lediglich eine neue Seite von sich gezeigt. Schon bei der nächsten Single könnte er wieder Herzschmerz versprühen, wenn er es denn wollte. Seine Stimme hat sich in den letzten 15 Jahren erheblich weiter entwickelt, genau so wie seine Person.

GACKT zeigt wie vielseitig ein Künstler sein kann und vermittelt eine ganz neue Art von \"Feeling\". Eben genau deshalb, sind seine Fans von ihm so fasziniert. GACKT hebt sich in seiner Selbstinszenierung von der Masse ab und gibt seinen Fans immer das Gefühl, dass sie ihm unheimlich wichtig sind.

Seine Professionalität ist nahezu einzigartig! Ich bin mir sicher, er wird noch für eine Menge Wirbel auf dem Europäischen Markt sorgen und mit weiteren Überraschungen glänzen!

Trotz allem, finde ich es klasse, dass sich jemand seiner angenommen hat und es gewagt hat, einen kleinen Report über ihn zu schreiben.

Mit freundlichen Grüßen

Janine