Kulturvollzug lernt Tanzen (Teil 1): Die große Bühne ist für alle da!
Hiphop-Crack Kapela (Foto: Isabel Winklbauer) Seit gut zehn Jahren werden dort auch Kurse für Laien angeboten. Die Autorin des Kulturvollzugs im Selbstversuch.
Zehn Tage, neun Vorstellungen, zwölf Workshops, an denen auch Laien teilnehmen können: Die Münchner freie Szene feiert die 21. "Tanzwerkstatt Europa" - Die Kulturvollzugs-Autorin im Selbstversuch.
"Bonjour. Je m'appelle Isabel e j'ai pas dansé depuis huit ans." - "Ah non. Vraiment?!!" Hiphop-Dozent Kapela, eine Szenecrack aus Paris, unterdrückt ein Augenrollen und grinst aufmunternd. Tja, der Kulturvollzug steigt bescheiden ein bei der Tanzwerkstatt Europa. Das Festival, das jedes Jahr im August die Spielzeitpause des großen Theaters verkürzt, findet heuer zum 21. Mal statt. Es wird nach amerikanischen Maßstäben sozusagen erwachsen. Ehrensache also, dass das Digitale Feuilleton für München mittanzt. Und ich Schaf habe mich selbst abkommandiert.
Seit ihrer Premiere 1991 zeigt die Theaterwerkstatt nicht nur Performances, sondern bietet auch eine Art Sommerakademie - das Publikum kann inzwischen selbst mittanzen. "Anfangs waren die Kurse eigentlich nur für Profis gedacht", erklärt Festivalchef Walter Heun. "Doch nach der Final Lecture Demonstration, also der Abschlussaufführung der Kurse, riefen ständig Leute an, die mitmachen wollten. Also haben wir uns seit Beginn des Jahrtausends auch für Laien geöffnet." Seither versammelt sich immer im August allerlei buntes Volk, um "Zeitgenössischen Tanz für Anfänger" zu lernen, oder "Experimental Anatomy into Dancing", oder "What you're not allowed to do on stage", oder "Modern Dance with Thai Chi". Man sieht Teenies, Tanzlehrer, Hausfrauen, Ballettomanen, Gays, Tanzfundamentalisten, die sich nur von Lichtnahrung ernähren, und viele Menschen mehr, denen man auf dem Gehsteig nie ansehen würde, dass sie etwas mit Tanz am Hut haben. Nach Einschätzung von Walter Heun kommen heute 50 Prozent der Teilnehmer aus München, 25 Prozent aus dem Umland und die restlichen 25 Prozent aus dem Ausland, "dieses Jahr sogar aus Zypern und China". Sie alle kommen in den Genuss, mit international tätigen Künstlern üben zu dürfen. Das ist obercool und kostet für zehn Tage á zwei Stunden 195 Euro. Doch dafür darf man hinterher auch auf die große Bühne. Die Muffathalle explodiert bei der Lecture Demontration regelrecht vor Zuschauern.
Meine Wahl ist auf "Hiphop-House - Beginners" gefallen. Hiphop ist ein amerikanischer Volkstanz, den jeder lernen kann, auch mit 65 und mit 100 Kilo Rettungsringen. Ein idealer Einstieg, wenn man das Tanzen für dieses Leben eigentlich bereits ad acta gelegt hat, es dann aber doch noch mal versuchen will. Da kann nicht schief gehen. Oder doch?
Unser Raum in der Tanzschule am Deutschen Theater ist jedenfalls originell, um nicht zu sagen beunruhigend: Rund um das braune Parkett stehen plüschige Salonstühle mit Messingbeinen, dahinter umgeben uns Glaswände. Die Passanten können uns besichtigen wie Fische im Aquarium! Noch origineller ist aber unsere Gruppe. Dazu gehört etwa die kleine Theresa, 14 oder 15, die "schon viel choreografiert" hat. Ein 20-jähriger Franzose, der bei Musik toll aus sich heraus geht, aber kein Wort redet. Gabriella, die blonde Hiphop-Queen unter den Twens, von der alle abschauen. Thorsten, der ehrgeizige Mittdreißiger. Oder Tanzlehrerin Kim, die gestandene Walküre mit Zöpfen, die mit ihrem Redetalent den Kurs aufmischt. "I find die Art zu tanzen so geil, des wollt i unbedingt ausprobiern", verkündet sie strahlend. "I hab 14 Kinder, die alle bei mir Hiphop lerna woin. Des hat so a Tempo, da musst erst a mal dein Kopf sortiern!"
Mit House müssen wir allerdings noch warten. Zunächst bringt uns Kapela mit Basics zum Schwitzen: Grundschritt mit Armbewegung, Charlie Brown, Snake. Außerdem ist in Paris zurzeit eine Variante namens "Hype" angesagt, ein Mix aus Hiphop und Swingbewegungen der 1920er Jahre. Wir integrieren also Charleston-Moves und Rauf-Runter-Trompetenspiel in unsere Charlie Browns, während uns draußen vor den Scheiben Saudis mit verschleierten Frauen umkreisen. Ein Königreich für ihre Gedanken. Das mit der Bühne muss ich mir jedenfalls noch überlegen...
Anfang kommender Woche mehr.