Fängt der frühe Vogel tatsächlich den Wurm: Von Lerchen, Eulen und Langschläfern
In ihrem Buch "Der frühe Vogel kann mich mal" untersucht Bettina Hennig, ob Langschläfer tatsächlich außerhalb der Sozialgemeinschaft stehen, oder nicht doch die besseren, netteren, die kreativeren Zeitgenossen sind.
"Abends nicht rein, morgens nicht raus!". Der Autor dieser Zeilen erinnert sich noch gut an diesen mit vorwurfsvollem Blick verbundenen Spruch von Hildchen K., ihres Zeichens die gute Seele im elterlichen Haushalt und mit der denkbar undankbaren Aufgabe betraut, Weckdienst an dem Knaben zu verrichten, damit dieser rechtzeitig zur Schule kommt. Bis zu fünf Mal fegte sie mit ihren krummsäbelförmigen Beinen die knarzende Holzttreppe in den ersten Stock des Haues hoch, schlug mit zunehmender Wut an die Zimmertüre, verbunden mit dem immer lauter werdenden Ruf "Tschoaccchhhim, aufstehhhhen". Ich gestehe: ich war und wäre bekennender Langschläfer, ließe man mich denn.
In ihrem Buch "Der frühe Vogel kann mich mal - Ein Lob der Langschläfer" singt die Hamburger Autorin Bettina Hennig eine Hymne auf die, die sich morgens nicht systemkonform ganz gern noch einmal umdrehen. Die Schlafforschung unterscheidet zwischen den Lerchen, also denjenigen, die den Tag mit dem ersten Morgengrauen irgendwie, bestenfalls frohgemut beginnen, und den nachtaktiven Eulen, die dann am Morgen ihre Probleme haben, in die Gänge zu kommen. Das Lerchenprinzip herrscht bei uns vor: früher Arbeits- oder Lernbeginn mit der Folge, dass die Lerchen gegen Mittag ihren Leistungshöhepunkt bereits überschritten haben und überhaupt nicht mehr jubilieren, sondern mit dem Kopf nur noch auf den Schreibtisch knallen wollen, während die Eulen jetzt eigentlich erst richtig aktiv werden, in ihre produktive, kreative Phase geraten. Während sich die Lerchen nach langem Tag am Ende vonheute journal oder Tagesthemen von dieser Welt zur Nachtruhe verabschieden, sind die Eulen unterwegs, unternehmen etwas, sind kommunikativ. Warum gelten sie also als faul oder gar "künstlerisch" in einem negativen Wortsinn? Weil sie der Norm nicht entsprechen, die seit Einführung der Stechuhr gilt und den Lebensrhythmus festgeschrieben hat. Till Roenneberg, Leiter des Zentrums für Chronobiologie am Institut für Medizinische Psychologie an der Uni München stellt bei beiden Lebensformen, mögen sie nun aufgezwungen oder selbst gewählt sein, einen sozialen Jetlag fest, der daraus resultiert, dass die Innenzeit der Menschen immer weniger mit der Außenzeit übereinstimmt, was zu chronischem Schlafdefizit führt und nicht ohne gesundheitliche Konsequenzen bleiben kann. Er plädiert für flexible Arbeitszeiten, die es auch den Eulen ermöglichen, ihr volles Potential einzubringen.
Die Realitäten sind noch andere, selbst in so angebliche lockeren Branchen wie der Unterhaltungsindustrie oder den Medien. "Wer zu spät zu Bett geht und früh heraus muss, weiß, woher das Wort Morgengrauen kommt", wird Robert Lembke zitiert. Noch müssen die Eulen sich meist einstellen darauf, dass sie innere Uhr anpassen müssen an das, was draußen im Leben von ihnen erwartet wird. Aber sie werden die Überhand gewinnen.
Bettina Hennig nimmt sich in ihrem Buch der Thematik sehr umfassend an, klärt auf und bezieht eindeutig Position zugunsten der Eulen. Sie beweist, dass die Eulen die netteren, besseren und ausgeschlafeneren Zeitgenossen sein können. Leider ist die Autorin dem Trend erlegen, aus der Befassung mit einem interessanten Thema unbedingt einen Ratgeber machen zu wollen. Das nimmt Buch und Thema wesentliche Teile ihres Charmes und macht es passagenweise langatmig. Quintessenz ist doch, dass Lerchen und Eulen ihr Leben so leben sollten oder so leben können sollten, wie es ihrer Typologie entspricht. Das ansonsten gut recherchierte und geschriebene Buch wäre spannender, hätte es sich auf die Schilderung und Erklärung eines menschlichen Phänomens beschränkt. Weniger wäre hier mehr gewesen. Tipps, welche Tees sie trinken oder welche Berufe sie ergreifen sollten - so rührend diese Ratschläge sind -, um lerchenähnlich zu werden, brauchen, wollen Eulen gar nicht.
Bettina Hennig, Der frühe Vogel kann mich mal - Ein Lob der Langschläfer, Ullstein Verlag, 8,99 Euro