Freitagsgedanken (Folge 8): Improvisation über ein Thema

von Clara Fiedler

Gelingt das freie Spiel auf den Tasten nur dann, wenn das geistige Notenpult wirklich leer ist? Foto: Fie

„Ich kann nicht improvisieren.“ Diesen Satz hört man vor allem von klassischen Musikern. Aber was bedeutet er? Was bedeutet „improvisieren“? Über den Gitarristen Attila Zoller wurde einmal gesagt „er war einer der Wenigen, die wirklich improvisierten“. Attila Zoller konnte sich musikalisch gesehen blitzschnell einer Gegebenheit anpassen, blitzschnell seine Möglichkeiten abwägen und dann daraus etwas kreieren.

Helmut Nieberle, einer von Zollers Schülern, erzählte, dass das bei Besagtem auch gelegentlich gehörig in die Hose gegangen sei. Aber auch, dass ein beherztes „Scheiße“ dem guten Attila seinen Wagemut noch jedes Mal zurückgegeben hätte. Als Jazzmusiker lernt man nicht unbedingt, zu kreieren. Man wird ein Meister im Reproduzieren und im Zusammenstellen. Warum sonst könnte man von einem Musiker behaupten, er habe „Einflüsse“ von John Coltrane oder Michael Brecker? Man eignet sich an, seine Hörerfahrung immer schneller und gekonnter in der Praxis anzuwenden? Die scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten bestehen lediglich in der Freiheit, erlernte Module zu kombinieren.

Der Meister der völlig aus dem Moment heraus geborenen Schöpfung war – wenn man es sich überlegt – Wolfgang Amadeus Mozart. Beispielsweise die Art, wie er innerhalb einer Sonatenform aus einem Übergang ein neues Thema kreiert, ist eigentlich ein Beispiel dafür, wie man leben könnte: Aus dem Augenblick heraus, alles Vorhergehende hinter sich lassend, um es im rechten Moment wieder nutzen zu können.

Schließt die Improvisation also die Maxime mit ein, sich von allem freizumachen? Ganz bestimmt. Was diese Fähigkeit aber demnach mit sich bringt, ist etwas wofür Mozart besonders geschätzt wird: Leichtigkeit. Natürlich, es ist schön, über so etwas zu reden. Aber wie umsetzen? Ich denke da an meinen Vater. Er ist ein sehr in der Klassik verwurzelter Musiker, und der Erste, der sagen würde, er sei nicht fähig zu improvisieren. Stellt man ihn aber vor ein handwerkliches oder technisches Problem, verschafft er sich binnen Sekunden einen Überblick, erwägt kurz und es dauert nicht lange, bis ein triumphierender Ausdruck seine Züge erobert und er eine Lösung parat hat. Nicht weiter verwunderlich. Waren Sie schon einmal in einem Land, dessen Sprache Sie nur rudimentär beherrschten? Und? Ist es Ihnen schwer gefallen, sich zu verständigen? Nein. Denn Sie kommen improvisierenderweise auch ganz gut durch China. Aber fliegen Sie mal nach England.

Sobald man sich an Regeln erinnert und sich dafür rügt, diese nicht zu beherrschen, verliert man seine Fähigkeit zu Improvisieren. Aber man übersieht vielleicht dabei noch etwas: Eine Improvisation ist frei von Wiederholung und deshalb die einzige Vergangenheit, die man wirklich loslassen kann, weil man sie nicht zum Schema machen kann. Die Situation aus der sie entsteht wird ja auch nie wieder kommen.

Aber was soll ich jetzt noch schreiben? Bis dahin gut und schön, aber diese Kolumne braucht einen Schluss, der witzig ist, pointiert, klug, sprachlich gewandt. Ach ja, und sexy hätte ich es auch noch gern. Es muss ein Bogen zum Anfang geschlagen werden, wenn ich das nicht hinbekomme, bin ich ja keine gute Kolumnistin. Bin ich überhaupt irgendwas? Mein Gott, es ist schon so spät, wieso kriege ich nie alles auf die Reihe, was ich eigentlich....

All das ist Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft in einem. Es hindert mich daran, Ihnen den perfekten Schluss zu liefern. Es hindert einen am Improvisieren. Aber zumindest wissen wir jetzt, was es ist.

 

 

Veröffentlicht am: 09.09.2011

Über den Autor

Clara Fiedler

Redakteurin

Clara Fiedler ist seit 2011 beim Kulturvollzug.

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