Jazzamor mit neuem Release: "Lucent Touch" steht für Lounge mit Tiefgang

von Clara Fiedler

Tauschten den faulen Sonntagnachmittag gegen emotionalen Tiefgang: Bettina Mischke und Roland Grosch. Foto:Blueflame Records

Liebe ist wie Schneeflocken in Rio – etwas Unvermitteltes, Plötzliches, das einen auf einmal glauben lässt, das alles möglich ist. Das zumindest sind die Gedanken von Texterin Mary Applegate, die auch auf dem neuen Jazzamor-Album „Lucent Touch“ mit den beiden deutschen Musikern zusammenarbeitete. Sängerin Bettina Mischke und Pianist und Sounddesigner Roland Grosch scheinen die Bossa Nova auf dem aktuellen Longplayer langsam ein bisschen hinter sich zu lassen.

Balladesk und jazzig präsentieren sie sich, über allem schwebt die laszive Melancholie von Mischkes teils fast gehauchter Stimme, die selbst auf schnelleren Tracks wie „What You Say“ niemals ihre vorwurfsvolle und zugleich verführerische Note verliert. Trotz aller Eingängigkeit – ja, diese Musik macht sich auch im Hintergrund gut – gibt es einiges zu entdecken, wenn man sich dazu entschließt, hinzuhören. Die Jazzamor-typischen brasilianischen Percussion-Einlagen und herrlichen Bossa-Gitarrensoli dürfen natürlich nicht fehlen. Denn schließlich liegen die akustischen Wurzeln der Band bei Stan Getz und Astrud Gilberto. Für die Abwechslung sorgt Groschs Klavierspiel, typisch in seinen Jazzelementen, makellos in seiner subtilen Virtuosität. Oder der Trompeter Igor Rudytskyy, der ein paar schwebend-nostalgische Klänge beisteuerte.

Die Electronics sind nicht zu aufdringlich, kleine Spielereien erkennt man erst beim zweiten Hinhören. Es ist die Kunst, die Einfachheit eines Pop-Arrangements nicht einfach wirken zu lassen. Das passiert durch die Liebe zum Detail und durch die geschickt vertonten Stimmungen, die die Texte ausdrücken. So zum Beispiel das Intro zu „Insomnia“: Beklemmung und Beklommenheit in den ersten trockenen, hohen Klaviertönen, ein schwerfälliger Bass und schwebende Synthi-Akkorde darüber, eine Klangkulisse zum nagenden Zweifel, der einem schlaflose Nächte beschert.

Oder das Ambiente von „Your Thoughtful Sight“, das eine gewisse Monumentalität besitzt, in diesem Klaviersolo, welches um einen Ton kreist, wie die Gedanken des lyrischen Ichs. Ein unruhiger Soundhintergrund untermalt die turbulente Suche in sich selbst.

Er ist kaum zu Übersehen, der emotionale Tiefgang. Fast ein bisschen schwer wirken die Textthemen im Vergleich zu vorherigen Releases. Dennoch, der Titel beschreibt das Album perfekt: Lucent Touch ist ein schillerndes Gesamtwerk geworden, kaum greifbar und dadurch unheimlich reizvoll. Die Welt an einem faulen Sonntagnachmittag ausblenden kann man mit Jazzamor auf dieser Scheibe definitiv nicht. Auch, wenn man ein bisschen Gefahr läuft, seine Melancholie zu kultivieren: Es ist Musik für Neugierige, für Hörer, die bereit sind, sich auf etwas einzulassen, die das Risiko der Konfrontation eingehen.

Jazzamor – Lucent Touch, VÖ: 14.10.11, Blueflame Records

Veröffentlicht am: 22.09.2011

Über den Autor

Clara Fiedler

Redakteurin

Clara Fiedler ist seit 2011 beim Kulturvollzug.

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