Saisonstart in den Kammerspielen: Johan Simons inszeniert Fellini

von Gabriella Lorenz

Unter Deck des Luxusdampfers geht es weniger glamourös zu: Pierre Bokma und Edmund Telgenkämper im Maschinenraum, Foto: Julian Röder

Es ist eine illustre Gesellschaft, die 1914 auf einem Luxusdampfer in See sticht: Opernintendanten, Dirigenten, Sänger, Adlige und Politiker gehen auf die Reise, um die Asche der berühmten Operndiva Edmea Tetua vor ihrer Geburtsinsel ins Mittelmeer zu streuen. Mit seinem Film „E la nave va“ schuf Federico Fellini 1983 ein gespenstisches Porträt der europäischen High-Society am Vorabend des Ersten Weltkriegs und einen Abgesang auf das 19. Jahrhundert. Der Kammerspiele-Chef Johan Simons hat Fellinis Drehbuch für die Bühne adaptiert und eröffnet damit heute Abend seine zweite Spielzeit.

Europa ist das große, alles übergreifende Thema der Kammerspiele-Saison. Und Fellinis Film ist für Johan Simons „eine europäische Geschichte, die auch das Fremde hinterfragt“. Die Fremden sind hier schiffbrüchige Serben, die nach dem Attentat von Sarajewo aus Angst vor Verfolgung aufs Meer geflüchtet sind und vom Kapitän an Bord genommen werden. Ein österreichisches Kriegsschiff fordert die Auslieferung der Flüchtlinge - so bricht der Krieg in die Kunstwelt ein. „Die Serben von damals kann man vergleichen mit den Nordafrikanern, die heute übers Mittelmeer nach Europa kommen“, meint Simons. „Vergleichbar ist auch, wie die Welt darauf reagiert.“

Simons sieht in den Passagieren und der Besatzung des Schiffes eine Metapher für die europäische Gesellschaft: „Der Film spielt in der Welt der Oper, der Künstler, der Exaltierten - das entspricht der Münchner Maximilianstraße. Das Personal unter Deck sorgt dafür, dass das Ganze funktioniert. Auch an den Kammerspielen arbeiten viele Leute, die unsichtbar bleiben, damit wir unsere Aufführungen zeigen können.“

Oben und Unten werden konfrontiert, als die Nobel-Gäste den Maschinenraum besichtigen und die Heizer eine Sängerin um eine Arie bitten. Bei Fellini endet das in einer gemeinsamen Gesangsorgie. „Das Schöne an der Oper ist, dass sie beide Gesellschaftsschichten rühren kann. Sie verbindet weit auseinanderliegende Welten“, sagt Simons. Eine ähnliche Konfrontation der Welten schilderte auch Eugene O'Neill 1922 in dem expressionistischen Einakter „Der haarige Affe“: Dort jedoch erweckt der Besuch einer Millionärstochter bei den Heizern eines Dampfers Wut und Rachegelüste. Für Simons ein Grund, Teile aus „Der haarige Affe“ in seine Bearbeitung einzubauen. „Das Stück wollte ich schon immer mal machen“, erklärt er. „Hier bietet sich die Chance, das organisch zu kombinieren. Es ist auch bei Fellini eine politische Geschichte. Und O'Neill geht noch tiefer auf die soziale Lage ein. Aus seinem Drama habe ich die Figuren Yank und Long übernommen.Yank glaubt an die Schönheit von Maschinen, von Motoren, von Ruß und Rauch. Auch Fellini zeigt, wie schön der Rauch in den Himmel aufsteigt.“

O'Neill zeigt drastisch den tödlich endenden Abwärtsstrudel, in den Yank aus Zorn über die soziale Ungleichheit gerät. Und die nimmt zur Zeit überall in Europa wieder zu. „Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich immer weiter“, das erfüllt Simons mit Sorge. Aber er empört sich auch über die Aussage der Bundeskanzlerin, die multikulturelle Gesellschaft sei misslungen: „Wir haben doch längst eine multikulturelle Gesellschaft, das lässt sich nicht mehr zurückdrehen. Und wir müssen damit umgehen.“

Fellinis Film lebt auch von zahlreichen Musikstücken und Opernarien. Simons konzentriert sich auf Verdis „Requiem“: „Es ist ja eine Totenfeier, da passt das.“ Das Orchester kommt vom Band, aber der Chor singt live. Ihn bilden Mitarbeiter aus allen Abteilungen des Theaters. „Alle singen freiwillig mit“, schwärmt der Regisseur. „Bei den Proben sitzt der Beleuchter neben dem Öffentlichkeits-Arbeiter – da lernt man sich anders kennen. Inzwischen können alle im Haus Verdi singen. Wir sind ein singendes Haus.“

Simons, der schon an der Opéra Nationale in Paris Verdis „Simone Boccanegra“ inszeniert hat, lässt sich und sein Theaterschiff gern von der Kraft der Musik ziehen. Sein Arbeitsfazit: „Für mich handelt der Abend von Passion, Leidenschaft, Verführung.“

Weitere Termine am 2., 7., 8., 23., 29., 30. Oktober, jeweils 19 Uhr

Veröffentlicht am: 29.09.2011

Über den Autor

Gabriella Lorenz

Gabriella Lorenz ist seit 2010 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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