Das Tony Malaby Tamarindo Trio in der Kulturschranne Dachau: Free Jazz mit Struktur
Freiheit ist auch nicht mehr was sie mal war. Als der Jazz in den 60er Jahren der turbulenten Zeit entsprechen wollte, subversiv wurde und den zweiten Umsturz seiner Geschichte in Angriff nahm, kippten die Protagonisten des Stils, der später „Free Jazz“ heißen sollte, musikalische Parameter über Bord.
Harmonien, Melodien, Rhythmen, Strukturen – das war was für Pussies. Heute geht es in der Welt kaum weniger krass zu, im Gegenteil. Doch der musikalische Widerstand ist kaum zu spüren und der gute alte Free Jazz bestenfalls noch eine Nischenmusik. Aber es gibt ihn noch. Wenn man Glück hat, klingt er so zeitgemäß, so differenziert, so zornbefreit wie bei Tony Malaby, der mit seinem Tamarindo Trio in der Kulturschranne Dachau auftrat – eine Veranstaltung des rührigen Jazz e.V.
Um wirklich frei zu sein, muss man nicht alles niederreißen, was es an zeitlosen musikalischen Werten gibt. Es reicht auch, dass man den Kopf vor einem Auftritt tüchtig lüftet, bis sich alle überflüssigen Informationen verflüchtigt haben. Dann geht man schön leer auf die Bühne, vertraut auf die zündenden Ideen der Mitspieler und sich selbst, darauf, dass man als Medium funktioniert, das einfach aufschnappt, was an Musik in der Luft liegt. So schien es zu sein, als der in Tuscon, Arizona geborene mexikanisch-irische Tenor- und Sopransaxofonist Tony Malaby mit dem Bassisten William Parker und dem Schlagzeuger Nasheet Waits in der Dachauer Kulturschranne los legte. Ein paar ätherisch gehauchten, leicht heiseren Noten folgte ein aus dem Saxofon-Trichter aufsteigender Tonstrudel, auf den sich die Rhythmusleute stürzten, als gäbe es kein Morgen mehr.
Doch das wilde Gewusel offenbarte schnell den Strukturwillen aller Beteiligten. Gerade im zweiten Set ließ sich erkennen, wie manche Abfolge kurzer Phrasen gemeint war. Da deuteten sich plötzlich Melodien an, der Bass marschierte in bester Walking Bass-Manier und, als wäre das alles nicht schon verblüffend genug, pumpte ein Groove sich mächtig auf.
Kein Wunder, dass es hier nicht dogmatisch zuging: Vom in der Avantgarde verhafteten, nicht immer intonationssicheren, aber unglaublich wendigen, technisch oft frappierenden Bassisten William Parker abgesehen, sind die zwei anderen Drittel des „Tamarindo Trios“ sonst in allen erdenklichen musikalischen Kontexten unterwegs. Das färbt ab. Tony Malaby etwa, der als einer wichtigsten Tenorsaxofonisten seiner Generation gilt, veröffentlichte gerade ein wunderschön koloriertes Nonett-Album und der explosive Schlagzeuger Nasheet Waits swingt in diversen Formationen regelmäßig wie der Teufel.
Mit der losgelöstesten Musik, die sie zu bieten haben, waren sie in der Kulturschranne Dachau genau richtig aufgehoben. Dort hat der Jazz e.V. Dachau im letzten Herbst sein neues Domizil bezogen, nachdem er jahrelang im Café Teufelhart zuhause war. Der 1998 gegründete Verein bezeichnet sich als „Forum für neue freie Jazzmusik“ – und gehört damit zu den wenigen Institutionen, die sich auf diese Art des Ausdrucks spezialisiert haben. „Am Anfang war uns die Richtung noch nicht ganz klar“, sagt Axel Blanz, der in Abstimmung mit den anderen Vereinsspitzen das Programm zusammenstellt. „Irgendwann kristallisierte sich heraus, dass es schwerpunktmäßig um Avantgarde und Free Jazz gehen sollte – das wurde damals nirgends sonst in der Umgebung geboten.“
Der Jazz e.V. hat mit seinen Veranstaltungen, die Menschen aus ganz Bayern anziehen, in den letzten Jahren zum – vom Kulturamt und der Gemeinde anvisierten – Imagegewinn Dachaus beigetragen. „Wir sind von Anfang an gut angenommen wurden“, sagt Axel Blanz. „Die Leute sind sehr aufgeschlossen. Dachau ist wirklich eine kulturbegeisterte Stadt. Davon haben auch wir profitiert. Egal von welcher Partei, noch nie ist jemand gegen uns gewesen.“ Weshalb der Verein auch munter in die Zukunft plant: Für die laufende Saison haben sich bereits Konk Pack (14.10.), Samuel Blaser und Marc Ducret (28.10.), das Tarfalo Trio (26.11.) und Gebhard Ullmanns „Conference Call“ (2.12.) angesagt.
Ssirus W. Pakzad