Frank Castorf inszeniert Horváths "Kasimir und Karoline" am Resi - "denn als Kommunist bin ich neurosenfrei"

von Gabriella Lorenz

Bibiana Beglau, Götz Argus, Shenja Lacher, Jürgen Stössinger (Foto: Matthias Horn)

„Ich bin psychopathogen, ich muss es als Querulant immer anders machen, als es dasteht“, sagt Frank Castorf über sich. Nachdem der große Knaller in Martin Kusejs Premieren-Marathon bisher ausgeblieben ist, richten sich die Schock- Erwartungen jetzt auf den als Stückezertrümmerer berühmt-berüchtigten Intendanten der Berliner Volksbühne. Am Residenztheater inszeniert der 60 Jahre alte Castorf erstmals in seiner Karriere ein Stück von Ödön von Horváth. „Kasimir und Karoline“ mit Birgit Minichmayr und Nicholas Ofczarek in den Titelrollen hatte am Sonntag Premiere. Ein Gespräch.

Herr Castorf, warum haben Sie bisher noch nie Horváth inszeniert?

Es gab einfach andere literarische Präferenzen. Ich finde auch, den süddeutschen Sprachklang des Autors sollte man mit einer Dialektfärbung der Schauspieler grundieren, das kann der harte, preußische Ton in Berlin nicht. Im Seelengeklapper der Sprache macht der Dialekt einen Unterschied. Wichtig ist die Entlarvung des Bewusstseins durch die Sprache, die unser Handeln bestimmt.

Das 1932 uraufgeführte Stück spielt auf dem Oktoberfest kurz nach der Weltwirtschaftskrise von 1929. Kasimir ist entlassen worden, darüber geht seine Verlobung mit Karoline zu Bruch. Lässt sich die Weltwirtschaftskrise heute mit damals vergleichen?

Die Geschichte wiederholt sich nicht. Damals war es ein Tanz auf dem Vulkan. Heute denken wir, in der Festung Europa geht's uns gut, wissen aber, dass wir auf einem Pulverfass sitzen. Afrika ist die extremste Metapher für dieses Pulverfass. 1932 war der Gegensatz zwischen links und rechts, Bolschewismus und Nationalsozialismus, ein explosives, hochmilitantes Gemisch. Man kann sehen, wie die Weimarer Republik zugrunde gehen sollte. Wir nähern uns dem Höhepunkt der Hoffnungslosigkeit, die arbeitslosen Menschen werden radikalisiert. Und das auf der Folie des Oktoberfests, einer Folie depressivster Art: Aus einem kurzen Drogenglück werden die Menschen in die Einsamkeit geworfen. Wir alle wollen nach oben kommen. Wenn wir Erfolg haben, sind wir glücklich, wenn nicht, geben wir uns selbst die Schuld. Dann hilft nur noch der Therapeut. Durch meine kommunistische Prägung habe ich ein anderes Bewusstsein - damit lebt man neurosenfrei.

Birgit Minichmayr (Foto: Matthias Horn)

Horváth zeigt den aufkommenden Faschismus über kunstsprachliche Klischees.

Er war der Lieblingsfeind der Ultra-Rechten. Er hat den Feind offen zur Schau gestellt und die Misstände bei der Unterklasse aufgezeigt. Horváth versucht, die Freudsche Theorie für sich anzuwenden. Er legt die Asozialität unserer Triebstrukturen offen. Je obszöner das geschieht, umso fröhlicher geht der Zuschauer raus. Aber Horváth decouvriert die asozialen Triebstrukturen als falsches Bewusstsein. Man hat Angst auszusprechen, was man denkt. Karoline sagt: Was ich sag', das denk' ich gar nicht. Die Automatisierung der Sprache peitscht uns. Horváth hat dem Volk aufs Maul geschaut, und durch seine Distanz dazu entsteht Komik und Lachen.

Sie haben viel aus Horváths Urfassung übernommen und bauen auch Fremdtexte ein.

In der Urfassung drehen sich viele Familienszenen um Kleinbürgerlichkeit. In Passagen aus Ernst Jüngers „Der Arbeiter“ geht's um Ideologiekritik und die Phänomenologie der Oberfläche. Die Kamera wird wichtig, die die Oberfläche wahrnimmt. Die Vergangenheit wird durch die industrielle Gegenwart verdrängt. Das sind alles Kennzeichen unserer Zeit. Diese Texte unterstützen die Seelenerforschung der Schauspieler, denn Horváth zieht sich auf das Seelenleben seiner Figuren zurück. Er seziert ihre moralischen Qualitäten.

Sie haben 1989 und 1991 schon am Residenztheater inszeniert. Kennen Sie das Oktoberfest?

Ja. 8000 Menschen in einem Bierzelt, das ist schon eine handfeste Stimmung. Natürlich hat man sowas im Kopf, aber man muss sich davon entfernen. Die Bühne ist ein Kunstraum mit merkwürdigen Symbolen, die aus der Sammlung Prinzhorn stammen könnten, wie die Werke des schizophrenen Friedrich Schröder-Sonnenstern.

Katharina Wagner hat nun offiziell verkündet, dass Sie 2013 den Jubiläums-„Ring“ in Bayreuth inszenieren werden.

Ich habe noch nicht unterschrieben, ich muss erst meinen Regierenden Bürgermeister fragen.

Sie haben nur anderthalb Jahre Zeit.

Der Druck ist extrem. Aber ich arbeite unter Druck am liebsten und bin ein sehr schneller Maschinenarbeiter. Der „Ring“ hat einen Vorteil: Er ist nicht unter 17 Stunden zu haben. Anderswo heißt es immer: Mach's nicht so lang, denk an die letzte U-Bahn.

Sie haben bisher nicht viel Opern-Regieerfahrung.

Ich habe viele Angebote abgesagt, weil für mich ein künstlerischer Freiraum wichtig ist. Aber wenn Richard Wagner 200 wird, verdient er schon, dass ich es mache.

 

"Kasimir und Karoline" Residenztheater, am heutigen Montag (31. 10. 2011) 19 Uhr, Tel. 2185 1940. Weitere Termine hier: http://www.residenztheater.de/spielplan/

 

Veröffentlicht am: 31.10.2011

Über den Autor

Gabriella Lorenz

Gabriella Lorenz ist seit 2010 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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