Freitagsgedanken (Folge 16): I know the Way to Carnegie Hall
Der stehende Spruch meines Lehrers war: "Üben hilft leider". Das Problem an dieser Aussage ist nicht das Üben, sondern das "leider". Denn Üben hat nicht immer etwas mit lernen zu tun. Letzteres tun wir ja sowieso. Es wird behauptet, Erwachsene lernen sehr langsam oder überhaupt nicht. Das ist Blödsinn.
Denn wir lernen jeden Tag. Sei es, dass wir eine berufliche Fortbildung machen, oder abends zum Tanzkurs gehen. Wir lernen im Gespräch, im Umgang mit Menschen. Und wir lernen auch gerne. Wenn es das iPhone zu Hänschens Zeiten noch nicht gab, heißt das nicht, dass Hans nicht mit Feuereifer dabei ist, zu lernen, damit umzugehen, wenn er sich endlich eines leisten kann.
Apropos: Da gibt es diese ganz spezielle Sorte von "Musikern": Den, der auf die Frage, wie er denn übe, sagt: "Och, ich übe nicht... ich bin eher der Kreative." Der, der dann auf der Bühne den Entertainer raushängen lässt, weil er ja irgendwie überspielen muss, dass ihm das, was er da tut, eigentlich völlig wurscht ist. Der kein Interesse daran hat, sich weiterzuentwickeln, sondern eher daran, auf einer Bühne zu stehen. Ich erinnere mich da an eine frühere Kollegin, die auf der Bühne immer aussah, wie von einer anderen Welt. Bühnenoutfit: opulent. Make-Up: eine Sache von intensiver Vorbereitung. Talent: ohne Zweifel enorm. Dafür, dass sie das alles, was sie tat, eigentlich "nicht gelernt" hatte, war es genial.
Nur weigerte sie sich sogar, die Melodie eines Stückes richtig zu singen, es sei denn, sie hatte es etliche Male gehört und konnte sie daher sowieso. Und oft sagte sie: "Eigentlich kann ich ja nichts." Vielleicht ist auch das ein bisschen der Sinn des Übens. Denn die, die meinen, sie hätten es nicht nötig, sind meistens wirklich sehr gute Musiker. Nur: Sie wissen nicht, was sie können. Vielleicht hat Üben etwas mit Selbstbewusstsein zu tun, und mit dem Mut, sich einzugestehen, dass man wirklich erst einmal nichts kann. Aber dass man eine Fähigkeit in sich trägt, die es zu formen gilt.
Wenn wir Üben, tun wir nichts Neues. Wir wiederholen. Meistens sogar nicht einmal, um besser zu werden, sondern damit wir schneller werden oder die erlernte Fähigkeit behalten. Der Tenorsaxofonist Michael Brecker sagte einmal, er müsse einen Lick vier Monate lang üben, bis dieser wirklich von selbst in sein Spiel einfließt. Was diese Menschen haben, ist Geduld mit sich selbst. Letztenendes ist es auch das was Kinder haben. Und das ist es ja immer, was wir alle wollen. Weil das Seltsame an der Geschichte ist, dass wir grundsätzlich davon überzeugt zu sein scheinen, Erwachsen werden sei ein Rückschritt. Jedenfalls wird die Kindheit gerne idealisiert.
Warum eigentlich? Weil wir einfach keine Lust zum Üben haben?