Schlicht und ergreifend: Die Arcis Vocalisten mit Monteverdis "L'Orfeo" in der Himmelfahrtskirche Sendling
Orfeo (Franz Schlecht) und Euridice (Carolin Grahm) verlieren einander auf dem Weg aus der Unterwelt für immer. Foto: Markus Ziegler
Sie gilt als die erste Oper überhaupt (Uraufführung 1607), entstand zwischen Spätrenaissance und Frühbarock und ist so ganz anders als diese italienisch-dramatischen Schinken, die man heute als Opern bezeichnet: Claudio Monteverdis "L'Orfeo". Unter der musikalischen Leitung von Thomas Gropper führten die Arcis Vocalisten München das über 400 Jahre alte Werk in der Sendlinger Himmelfahrtskirche auf. Und trotz der eigentlich romantischen Schwere des Stoffes strahlt schon das Anfangsritornell diese wunderbare Leichtigkeit aus, der teils die Tonalität, teils diese zu dieser Zeit geforderte musikalische Klarheit zugrundeliegen. Es ist ein Ohrwurm, den man nicht mehr loswird.
Orfeo (Franz Schlecht) bekommt von der "Musica" (Sophie Babilon) seine Lyra und damit ihren Segen. Er wird ein gefeierter Künstler und trifft auf Euridice (Carolin Graml), die seine Frau wird. Selten erlebte man das Paar aus der griechischen Mythologie so gefangen in einer verspielten Erotik. Carolin Graml wirkt absolut engelhaft, passend zu ihrem lupenreinen, sehr leichten Sopran. Franz Schlechts Stimme hat sehr schöne Höhen und ist prägnant genug für einen Orpheus. Das Paar feiert Hochzeit, umtanzt von den Hirten, verliert sich in den Festivitäten. Bis Simone Brückner als die Botin auftaucht. Sie wird später noch die Proserpina singen und ist eines der Highlights des Abends. Stolz und in würdevoller Trauer überbringt sie ihre Botschaft, ihre Stimme wie süßer Rotwein.
Euridice wurde durch einen Schlangenbiss getötet. Orfeo sackt mit einem "Oi Me" in sich zusammen. Die Botin steht neben ihm, aufrecht in ihrem schwarzen Tüllschleier. Eine Weile noch erträgt sie den Schmerz des Sängers. Dann läuft sie mit bedecktem Gesicht nach hinten und der Chor gibt den Blick auf die aufgebahrte, weißgewandete Euridice frei. Trauer und Freude, beides wird von Franz Schlecht mit einer stimmlichen Gefühlstiefe interpretiert, die Gänsehaut verursachen. Schade nur, dass er manchmal in seinem Spiel etwas zu theatralisch und fast feminin wirkt.
Der Stoff ist bekannt, sein Trotz gegen das Schicksal führt Orfeo an die Ufer des Styx, wo er sich mit Caronte anlegt. Eine der schönsten Bass-Rezitative ist das, der Part des Fährmanns. Alfons Rebl interpretiert es eindrucksvoll, begleitet von Regal und Barockposaune. Überhaupt kommen die Bläser in der Unterwelt sehr viel tragender zum Einsatz. Streicher und Saiteninstrumente begleiten Orfeos Verzweiflung, und er schafft es tatsächlich, den etwas verschrobenen Caronte zu überreden. Am anderen Ufer trifft er auf Plutos Gattin Proserpina. Ein weiteres Mal bezaubert Simone Brückner in der Rolle der Königin der Unterwelt. Auch Martin Burgmair als Plutone spielt eine ausnehmend interessante Version des Gottes. Fast bekommt man den Eindruck, als sträube er sich aus Demut vor seiner Aufgabe gegen Orfeos Bitten, Euridice freizugeben. Burgmairs Bass klingt warm und irgendwo mitfühlend.
Beeindruckend ist auch die "Bühne": Als "Kulisse" dient die Orgel, die Seitenwände wurden je nach Szene farbig beleuchtet. Mehr brauchte es gar nicht. Es ist so herrlich schlicht und eine Hommage an die Akteure, die gar kein entsprechend verkünsteltes Bühnenbild brauchen, um zu wirken. Großes Lob sei auch dem Barockorchester "L'Arpa Festante" ausgesprochen, das die sensible Leichtigkeit der Musik wunderbar zu Gehör brachte.
Letzter Akt: Orfeo ist gebrochen. Er hat seine Prüfung nicht bestanden, sich auf dem Weg nach Euridice umgedreht und sie somit für immer verloren. Apollo (Stefan Pausch) erscheint dem etwas arg im Selbstmitleid versinkenden Künstler und macht ihn zum Halbgott. Wunderschön in Präzision und Ausdruck das Duett von Franz Schlecht und Stefan Pausch, das einem nochmal ins Gedächtnis ruft, dass die Renaissance die Zeit die Hochblüte der Vokalmusik war. Zum Schluss das Ritornell. Man ist angekommen. Die Lichter gehen an und die Akteure versinken in tosendem Applaus.
Eine wunderbar detailverliebte und trotz aufwändiger Kostüme auf die großartige Musik fokussierte Inszenierung geht zuende und es bleibt einem nur zu hoffen, dass dieses Werk auch die nächsten 400 Jahre übersteht und sich Künstler wie diese finden, es aufzuführen.