SpielArt kommt: Ein Festival als Freiraum für Expertise, Protest und Gemeinschaft

von Gabriella Lorenz

Szene aus Motus / Alexis - Eine griechische Tragödie, Aufführung am 21. November in der Muffathalle. Foto: Spielart

Beinahe hätte das Erdbeben von Fukushima auch das Theaterfestival SpielArt ins Wanken gebracht. Es war fraglich, ob die japanische Regierung im Notstand noch Zuschüsse für zwei Gastspiele in München freigeben würde. Sie tat es. So kann die 9. Ausgabe des renommierten Avantgarde-Festivals im November mit zwei jungen Regisseuren aus Tokio eröffnen. Beide fragen: Wie wollen wir leben? Die Frage zieht sich motivisch durchs Programm der seit der Gründung 1995 erprobten Leiter Tilmann Broszat und Gottfried Hattinger.

Die globale Krise verunsichert allgegenwärtig Bewusstsein und Unterbewusstsein. Auch in Japan. In „The Sonic Life of a Giant Tortoise“ von Toshiki Okada sucht ein gutsituiertes Mittdreißiger-Paar nach dem vermissten Glück. Daisuke Miura beobachtet in „Castle of Dreams“ voyeuristisch eine WG sprachloser Endzwanziger, die nur fressen, saufen, ficken, fernsehen wollen. Auch ohne Themensetzung drängte sich die Frage nach Lebensentwürfen in den Vordergrund. Daraus entstand die Diskurs-Reihe „Social Fictions“. An drei Sonntagen sprechen Künstler und Wissenschaftler über die Krisen der Expertise, die Kunst den Protests und aufbrechende Gemeinschaften.

Zukunft - gibt's die überhaupt noch? Broszat und Hattinger arbeiten heftig daran. Ihr Mentorenprogramm „Connect Connect“ will Nachwuchsschmiede sein. Vier arrivierte Regisseure empfehlen Jungtalente, die Uraufführungen erarbeiten. Diesmal unter der Bedingung, dass zwei einander unbekannte Künstler etwas Gemeinsames entwickeln. So darf auf Empfehlung von René Pollesch die Jungautorin Helene Hegemann („Axoloatl Roadkill“) mit der Videokünstlerin Karin Krottenthaler zeigen, ob sie mehr kann als Abschreiben.

Keine Zukunft ohne gemeinsame Vergangenheit: Festival-Konstanten sind die Briten-Truppe Forced Entertainment und Romeo Castelluccis italienische Societas Raffaello Sanzio. Die sorgt gerade in Paris für Skandal. Dort protestieren fundamentalische Christen gewalttätig gegen die Aufführung „On the Concept of the Face ...“. Darin sitzt ein inkontinenter Greis vor einem Christus-Bild, das später mit Handgranaten attackiert wird.

Die Neugier konzentriert sich mehr auf die hier noch unbekannten Namen: Die Pariser Choreografin Gisèle Vienne lockt zum Verschwinden in einem hyperrealistischen Horror-Nebelwald; die Truppe Motus verarbeitet den Tod eines jungen Demonstranten in Athen zur griechischen Tragödie.

Auch die Münchner Szene ist eingebunden: Angelika Fink vom Pathos Theater und die Finnin Satu Herrala kuratieren die Performance-Serie „Do Tank“. Unterschiedlichste Künstler sollen ihre sozialpolitischen Visionen entwickeln. Deren Entstehung kann man täglich in der Muffathalle verfolgen. So bleibt SpielArt, wie es Kulturreferent Küppers formulierte, ein „Denk-, Spiel- und Vorstellungsraum für Mögliches und Unmögliches, ein Freiraum für Vernunft, Verstand und Sinnlichkeit“.

 

18. November bis 4. Dezember, Info www.spielart.org, Karten 089/ 54 81 81 81 und www.muenchenticket. de

Veröffentlicht am: 13.11.2011

Über den Autor

Gabriella Lorenz

Gabriella Lorenz ist seit 2010 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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