Querfeldein durch die Jazzgeschichte: Joshua Redman und Brad Mehldau in der Kongresshalle

von kulturvollzug

Geht stark aus sich heraus: Joshua Redman, hier bei einem Auftritt im Memminger Kaminwerk. Foto: Ssirus W. Pakzad

Wird Jazz in größeren Hallen geboten, sieht man dort meist Menschen, die sich für die Örtlichkeiten, in denen solche Musik am besten aufgehoben ist, zu fein scheinen. In die hiesigen Clubs gehen diese Herrschaften jedenfalls höchst selten. Anders war es, als das Team der Haidhauser Unterfahrt jetzt die heimischen Keller-Räumlichkeiten verließ, um in der 857 Personen fassenden Kongresshalle ein Konzert des Saxofonisten Joshua Redman und des Pianisten Brad Mehldau zu veranstalten (das übrigens gut besucht war). Hier fand ganz offensichtlich ein Familientreffen statt – die üblichen Verdächtigen der lokalen Szene waren erschienen, um einem großen Ereignis beizuwohnen.

 

Manch einer war neugierig, ob sich diese Halle am alten Messegelände für den Jazz überhaupt eignet. Am Ende die Erkenntnis: oh ja. Klingt gut, der Saal und besitzt etwas Gemütliches.

Die beiden Amerikaner, die das Publikum nach zwei Stunden Spielzeit zur Standing Ovation von den Stühlen rissen, kennen sich eine kleine Ewigkeit. Der eine, Joshua Redman, war 1994 schon eine etablierte Jazz-Größe, als er seinen damaligen Pianisten Brad Mehldau erstmals in Europa präsentierte. Der hoch begabte Tastenmann hatte bald nach seiner Einführung in die Jazz Community jedoch mit solch starken Drogenproblemen zu kämpfen, dass er sich für eine Weile zurückzog. Aber er gab den Phönix, der aus Asche stieg, und galt schon bald nach seinem Comeback als einer der stilprägenden Pianisten unserer Zeit. Warum, war in der Kongresshale zu hören.

Die Augen hält er während des gesamten Konzerts geschlossen. Im Blindflug bewegen sich seine Hände über die Tasten, pflegen ihre Unabhängigkeit, jagen aufeinander zu, überkreuzen sich, schütteln sich. Der Mann, dem diese beiden Gliedmaßen gehören, die er nach jedem Stück ausgiebig massiert und knetet, besitzt ein frappierendes Rhythmusgefühl und ein seltenes melodisch-harmonisches Verständnis. Man ist manchmal sprachlos, wie er es schafft, einen weiten, delikaten Bogen zu schwingen, ehe er bei der angepeilten Tonstufe anlangt.

Das Duo-Konzert mit Joshua Redman war deshalb so spannend, weil sich die Männer fast telepathisch verstehen und doch unterschiedlicher kaum ticken könnten. Der entrückte Mehldau wirkt fast autistisch – jedenfalls bewegt er sich in einem ganz eigenen, hermetischen Kosmos. Der anderthalb Jahre ältere Joshua Redman (42) geht hingegen stark aus sich heraus, ist alles andere als introvertiert, wenn er am Tenor und Sopran atemlos durch die Harmonien kurvt.

Auf Wiedersehen im Frühjahr: Joshua Redman (die Aufnahme entstand im Münchner City Hilton). Foto: Ssirus W. Pakzad

Es gab ganz intime Momente in diesem Konzert, etwa bei „The Nearness of You“ – diesen Standard spielte das Duo so zart, süß und zerbrechlich, dass manch einer im Saal ganz schön schlucken musste. Großes Gejohle dann, als Redman und Mehldau einen Klassiker von Charlie Parker in eine Parallelwelt überführen: fast beiläufig reißen sie das rasante Thema an. Das Akkordgerüst steht nur noch als Fragment da, auf das karge Flügelfarben getupft werden, ehe das Stück in einer kunstvoll stotternden Boogie-Figur mündet und sich dann unvermittelt im Zeitraffer querfeldein durch die Jazzgeschichte macht.

Im Frühjahr gibt es übrigens ein Wiederhören mit Joshua Redman – diesmal bringt er sein Trio nach München – aber nicht in die Kongresshalle, sondern in die gute alte Unterfahrt.

 

Ssirus W. Pakzad

 

Veröffentlicht am: 21.11.2011

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