Der unnachahmliche Maurizio Pollini mit Chopin und Liszt: Es öffnete sich der Himmel
Man muss sich lange zurück erinnern, einen ähnlich grandiosen Auftritt des italienischen Meisterpianisten Maurizio Pollini im Münchner Herkulessaal miterlebt zu haben. Diesmal stimmte einfach alles - die Programmauswahl, die Tagesform fern aller Routine. Am Ende des restlos ausverkauften Konzertes hielt es selbst die Geigerin Anne-Sophie Mutter nicht mehr auf ihrem Platz. Mit lauten "Bravo"-Rufen stürmte sie ans Podium, um dem Tastenmagier aus Mailand, der Ende Januar 70 wird, zu huldigen.
Im ersten Teil Chopin, danach Spätes und Bekanntes von Liszt: Herzblut und Kalkül mischten sich zu hinreißenden Klaviermomenten. Welch' eine Souveränität bei der Bewältigung musikalischer Probleme, Einwände, wenn überhaupt, mögen allenfalls zur h-Moll-Sonate von Liszt gestattet sein. Maurizio Pollini spielt sie nach wie vor zurückhaltend streng, schraubt die Exaltiertheit auf ein klassisches Maß zurück. Da hätte man sich gerne ein wenig mehr Mut zu extremen Ausbrüchen gewünscht. Die vorwärts weisenden, lapidaren Ausblicke der vier späten Liszt-Stücke (Nuages gris, Unstern, Trauergondel I, Richard Wagner-Venezia) brachte er unnachahmlich schlüssig auf den Punkt.
Die Palme aber gebührt diesmal seiner Chopin-Kunst. Die Selbstverständlichkeit, mit der er in den zwei Nocturnes Op. 62 Atmosphäre herbeizauberte, als sei es das Leichteste auf der Welt, der faszinierend delikate Nachdruck, mit dem er in der Polonaise-Fantasie Op. 61 die rhythmischen Finessen der melodischen Struktur unterordnete - da öffnete sich der Himmel. Im h-Moll-Scherzo schließlich strafte Maurizio Pollini all jene Lügen, die ihm womöglich in spieltechnischer Hinsicht altersbedingte Defizite unterstellten. Und auch der Mut, keine Zeit mit einem leichten Einspielstück zu vertrödeln, sondern mit der f-Moll-Fantasie gleich zu Beginn einen Schwerpunkt zu setzen, machte deutlich, dass ihm trotz jugendlicher Verfolger noch immer ein Spitzenplatz sicher ist.