Spielart: Cuqui Jérez spürt den Geheimnissen der Gegenwart nach

von Michael Weiser

Kindliche Spielfreude oder Verlust in Beliebigkeit: In "The Nowness Mystery" spürte die spanische Konzeptkünstlerin Cuqui Jerez bei Spielart den Geheimnissen der Gegenwart nach. Für die beiden Darstellerinnen Maria Jérez und Amalia Fernández 90 Minuten harte und doch spielerisch leicht aussehende Improarbeit, für den Zuschauer die große Gefahr der Orientierungslosigkeit.

Eine Wohnung, ein Balken Sonnenlichts, in dem winzige Flusen tänzeln. Ist ja schon bemerkenswert, was im gläsernen Raum der Luft so alles fleucht, um so mehr, da man sich die Kleinsttrabanten vermutlich mit dem Einatmen auch noch einverleibt. Maria Jérez und Amalia Fernández starten mit einer spaßigen Betrachtung von Staubpartikeln in ihre 90-Minuten-Show.

Das Treiben auf der Bühne gilt der Grundbedingung des Theaters: Was ist Wirklichkeit, wie definieren wir sie, wo ziehen wir ihre Grenzen? Verändert man durch pure Behauptung bereits die Realität? Die Frage stellt sich um so mehr, da Cuqui Jerez die beiden Akteure auf der Bühne beobachtet, ihr Tun und Lassen via Laptop und Beamer kommentiert und beeinflusst und auch das Publikum im Auge behält: Das theatrale Geschehen und das Verhalten der Zuschauer rufen unmittelbar Rückkoppelungen auf der Videoleinwand hervor.

Der Tanz der Staubpartikel ist bald Vergangenheit, im Mikrokosmos ihrer Ideen springen die beiden ziemlich schrägen Aktrice sogleich auf den nächsten Spleen an. Was passiert gleich nochmal, wenn man Helium zu sich nimmt? Dann klingt Freddy Mercury wie Micky Maus und "I want to break free" auf einmal ziemlich komisch. Zumal da irgendjemand weiterzusingen scheint, auch wenn die beiden Frauen verstummen. Sitzt da jemand in der Nachttischlampe? Die beiden kichern und kudern sich mit ihren angeblich helliumverzerrten Fistelstimmchen einen ab, dass auch der Zuschauer bald nicht mehr widerstehen kann: Aus der Begegnung von kindlichen Rollenspielen mit der Skurrilität des Augenblicks schlagen Jérez und Fernández komische Funken, mal mit den Mitteln des Slapsticks, mal mit subtilem Humor.

In der wüsten Assoziationskette von "Nowness Mistery" trifft man immer wieder auf aberwitzige Verkettungen. Jeder alltägliche Gegenstand, vom Ficus bis zur prosaischen Werkstattuhr, muss ins Spiel einbezogen und auf seine Phantasietauglichkeit geprüft werden. Durch pure Behauptung welchseln die Dinge ihren Zweck und ihren Charakter. Und aus einer Wohnungseinrichtung kann eine Lawine werden. Irgendwann findet sich Fernández unter einem wahren Schutthügel der Alltagsgegenstände wieder, von ihrer Partnerin sorgsam auf sie gehäufelt, bis man nur noch die Stimme der Verschütteten hört. Kurz darauf ist Maria Jérez schon wieder einer neuen Spielidee gefolgt, die sie mit ihrer Partnerin teilen will. Wo bist du? Hier, unter dem haufen hier. Wie bist du denn da hingekommen? Besonders Alufolie erweist sich als glänzendes Material für die Vorspiegelung phantastischer Tatsachen und gibt eine hervorragende Rüstung ab. Im Brachland jenseits der greifbaren Realität treiben die Samenkörner der Phantasie mitunter seltsame Blüten.

Als Prüfstein für die Realität taugt die Sperrholzkulisse von "Nowness Mystery" dennoch nur bedingt. Das Assoziations-Tennis der beiden Schauspielerin und der Performerin lässt keine Handlung aufkommen. Die Anweisung, jedes Ding ins Spiel einzubeziehen, ergibt ein allzu klappriges Grundgerüst. So ist das "Nowness Mystery" mitunter wahnwitzig komisch, oft aber auch dümpelt man mit den beiden Geheimnissucherinnen auf der Bühne in einem allzu stillen Ozean der Phantasie. Als Performance über die Möglichkeiten und Grenzen des Theaters als Fabrik der Behauptungen ein lehrreiches, wenn auch nicht immer äußerst unterhaltsames Stück.

Am heutigen Samstag abend steht in der Blackobox am Gasteig nochmals "Your Brother. Remember?" auf dem Spielplan (18.30 Uhr), "The Nowness Mystery" kann man gleich danach ein paar Meter weiter ansehen: Um 20 Uhr beginnt die Aufführung im Carl-Orff-Saal.

 

 

Veröffentlicht am: 05.12.2011

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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