Paul Kalkbrenner im Zenith - unbegreiflich, aber wahr

von Salvan Joachim

Munich Calling: Paul Kalkbrenner am Freitag im ausverkauften Zenith (alle Fotos: Salvan Joachim)

Techno für die ganze Familie: Einlass schon um halb Sieben, Bruder Fritz beginnt um Acht und kurz nach Mitternacht schaltet Paul Kalkbrenner den Laptop aus. Zuvor hat er drei Stunden mit seinen Bässen die Mägen des Publikums massiert. Es hätte noch ewig so weitergehen dürfen.

Die Bühne ist viel zu groß: Nur Laptop, Mischpult und ein Drink stehen auf einem Tisch. Dahinter Paul Kalkbrenner. Er dreht und schiebt an den Reglern. Aber wie! Diese Handbewegungen! Jede noch so kleine Frequenzverschiebung macht er zur großen Geste, zweifach projiziert auf die Leinwände hinter ihm. Und wenn er den Bass reindreht schwingt sein Arm bis über die linke Schulter.

Letztes Jahr war seine Freundin Simina Grigoriu dabei, diesmal macht Bruder Fritz Kalkbrenner den Auftakt.

Die Halle jedoch ist viel zu klein: Deswegen spielte Kalkbrenner samstags ein erneut ausverkauftes Zusatzkonzert. Dabei zahlt jeder Besucher 40 Euro Eintritt. Kein Grund, daheim zu bleiben - vor allem für das sehr junge Publikum. Größtenteils sind es Schüler, die Kalkbrenner frenetisch feiern.

Phänomen Paul

Kalkbrenners Musik bewegt die Massen. Stämmige Kerle im "Rammstein"-Shirt schütteln ihren Speck neben Mädels im "Seeed"-Top. Warum dieser Hype? Fasziniert Kalkbrenner noch immer durch seine Hauptrolle als DJ Ickarus in Hannes Stöhrs Film "Berlin Calling"? Oder sind die meisten nur wegen "Sky and Sand" da - dem mit Bruder Fritz produzierten Charthit?

Vielleicht ist der gemeinsame Nenner die Sehnsucht nach Einfachheit und Eingängigkeit. So wie bei "Aaron", dem Titeltrack von Kalkbrenners Erfolgsalbum "Berlin Calling". Er spielt ihn am Ende des Konzertes: Ein einfaches Sample, bestehend aus wenigen Tönen, wiederholt sich, dann kommt die Hi-Hat hinzu, ein Ton vom Klavier und endlich der Bass. Alle Besucher nehmen gleichzeitig den Kopf hoch und strecken die Hände in Richtung Hallendecke. Text gibt es ja keinen und so darf sich jeder seine eigene Geschichte zur Musik denken. Das ist Individualismus als Kollektivereignis, und es kommt zusammen, was unvereinbar erscheint: Party und Kontemplation.

Live durch die Linse

"Gutes Nitzwerk"?

Aber es geht nicht allein um die Musik. Paul Kalkbrenners Prominenz hat sich verselbstständigt. Er ist eine Marke, die fast ohne Werbung auskommt und dennoch weltweit die großen Hallen füllt. Über 1,5 Millionen Fans hat er auf Facebook. Viele Besucher sind auch während des Konzerts ständig online. Nichts gegen ein Erinnerungsbild, aber sehr viele posieren minutenlang für Fotos, hängen die Köpfe über die Displays, lachen und laden Videos hoch - die Musik gerät zur Nebensache.

Kalkbrenner kann man das nicht ankreiden, auch wenn sein Auftritt machmal irritiert: Jede Stunde verlässt er die Bühne und lässt sich vom Publikum wieder "hocklatschen". Kaum denkbar, in einem Club für mehrere Minuten die Musik zu unterbrechen. Aber ein Clubkonzert ist das ja nicht. Auch mag man sein "Mia san mia"-Shirt im zweiten Set etwas anbiedernd finden. Weiß-blau ist es aber nicht, sondern rot-weiß; und wo soll es der in der DDR aufgewachsene Berliner und bekennende Bayernfan sonst tragen als in München?

Paul Kalkbrenner kurz vor dem Wumms

Jedenfalls hat er Spaß am Musikmachen - das sieht man ihm an. Er verzieht das Gesicht, und entspannt sich erst, wenn der wummernde Bass den ganzen Körper zum Schwingen bringt. Von "Berlin Calling" spielt er nur wenig.

Auch auf seinem im Sommer erschienen Album "Icke wieder" hat er ja gemacht was er will, und bewusst nicht auf die großen Hymnen gesetzt. Alles anders also und doch klingt es wieder nach dem so unverwechselbaren Kalkbrenner-Sound - auf Platte und im Zenith.

 

Veröffentlicht am: 04.12.2011

Über den Autor

Salvan Joachim

Redakteur

Salvan Joachim (1986) ist seit 2011 beim Kulturvollzug.

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