Die Taschenphilharmonie für die Kleinen ist viel mehr als „Peter und der Wolf"

von Isabel Winklbauer

Peter Stangel, gebürtiger Hannoveraner, lebt und dirigiert seit fast 20 Jahren in München, Foto: Taschenphilharmonie München

Wenn der Mensch nicht zum Konzertsaal kommt, kommt das Konzert zum Menschen: Peter Stangel und seine 15-köpfige Taschenphilharmonie bringen sinfonische Musik gerne zu jenen, die nur selten Brahms oder Debussy hören. Aktuell dürfen sich darüber Kindergärten und Schulen freuen, denn die Taschenphilharmonie widmet ihnen den 13. Teil ihrer preisgekrönten CD-Reihe „Große Musik für kleine Hörer“.

Das Buch und die CD mit dem Titel „Oboe & Co. oder Was macht das Horn im Wald?“ stellen Kindern anhand vieler klassischer Beispiele die Instrumente eines Orchesters vor; gleichzeitig werden in Zusammenarbeit mit der Stiftung Zuhören und dem Bayerischen Rundfunk Fortbildungsworkshops für Erzieher und Lehrer angeboten. Ursula von der Leyen gefiel das Konzept dieser Initiative namens KLI©K (Klassik in die Kindergärten und Grundschulen) so gut, dass sie die Schirmherrschaft annahm. Kulturvollzug sprach mit Dirigent Peter Stangel über Kinder und Musik.

Herr Stangel, warum brauchen Dreijährige Klassik?

Ich fand es schon während meiner Zeit als Chefdirigent wichtig, Kinder nicht zu unterfordern. Popmusik hat meist nur ein Tempo, eine Harmonie und ein bisschen Begleitung. Klassik ist viel komplexer! Die europäische Kultur hat Polyphonie nur um des Hörens willen entwickelt, wir brauchen keine Beerdigung dazu und müssen nicht mehr dazu tanzen. Sie macht einfach Spaß. Natürlich soll man nicht nur verkopft leben, aber man muss diese Errungenschaft ja auch nicht umsonst hergeben.

Ein Horn im Kindergarten bringt kleine Leute zum Staunen - und außer Puste, Foto: Taschenphilharmonie München

Was ist gute Klassik für Kinder?

Immer nur „Karneval der Tiere“ oder „Peter und der Wolf“ hat nichts mit Klassikvermittlung zu tun. Das ist nur bequem fürs Orchester, weil man diese Stücke nicht üben muss. Kleine Leute können genau so anspruchsvolle Musik hören wie Erwachsene. Sie muss nur so portioniert sein, dass sie sie fassen können. Schon Vierjährige begreifen Ravel und Janáček, wenn man ihre Werke erzählerisch präsentiert. Kinder haben ein großes Bedürfnis nach Geschichten.

Gibt es nichts, wovon man abraten sollte?

Generell geht alles zwischen 1700 und 1900. Bruckner und Schönberg wären vielleicht Quatsch, da deren Stücke sehr ausufernd sind. Länger als 50, 60 Minuten währt die Aufmerksamkeit von Kindern nicht. Auf unseren Konzerten spielen wir immer Vier-Minuten-Stücke mit Redepausen dazwischen.

Ihre Kinderedition hat den Leopold Medienpreis 2011 erhalten, unter anderem wegen der erzählerischen Qualität. Was für Geschichten denken Sie sich denn so aus?

Es ist gut, wenn immer etwas dabei ist, was Kinder noch nicht kennen. Zu Rossinis „Un petit train de plaisir“ schicken wir die Kinder zum Beispiel auf eine Zugfahrt ins Paris von 1860. Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“ spielt dagegen in einer osteuropäischen Märchenwelt. Es kommen ein Bauernjunge, Hexen, Gnome und eine Schlossruine vor... Zu Robert Schumanns „Kinderszenen“ erzählen wir aber auch von Mäxchen, der in der Fotokiste seines eben verstorbenen Großvaters stöbert.

Haben Ihre eigenen Kinder Sie auf die Idee gebracht, ein bundesweites Bildungsprojekt zu starten?

Ich selbst habe keine Kinder, bin aber überzeugter Onkel. Seit 20 Jahren höre ich jetzt schon Klagen, es müsste doch endlich was für die musische Bildung von Kindern getan werden. Also tat ich mit der Taschenphilharmonie etwas. Die Entscheidung, für KLI©K die Instrumente als Thema zu wählen, trafen wir aufgrund von Publikumsstimmen. Viele Zuschauer, auch Erwachsene, finden es spannend, Musikinstrumente vorgeführt zu bekommen. Die meisten können eben keine Oboe von einer Klarinette unterscheiden. Oder wussten Sie zum Beispiel, dass es Mini-Kontrabässe für Kinder gibt?

13 Musiker bilden die Stammbesetzung der Taschenphilharmonie, Foto: Taschenphilharmonie München

Wie soll der Siegenszug von „Oboe & Co“ aussehen?

Wir würden uns freuen, wenn in den nächsten drei Jahren alle Grundschulen und KiTas mit Buch und CD ausgestattet würden. Der Preis von 16,99 ist nicht gewinnorientiert und auch darum günstig, weil das Ganze ja nicht schlecht wird. Es kommen immer neue Kinder zu den Pädagogen, die die CD vorspielen, ohne dass noch mal Kosten anfallen. Da die Taschenphilharmonie natürlich nicht alle Einrichtungen der Republik besuchen kann, entwickeln wir derzeit auch Dialoge, die Musiker vor Ort vorspielen können, zusätzlich zu dem, was die Pädagogen erzählen. Ein oder zwei Instrumente sollten die jungen Zuhörer schon live sehen.

Warum denken sich Erzieher und Lehrer so etwas Ähnliches eigentlich nicht selbst aus?

Seit 1985 ist der Medienausstoß ja bekanntlich explodiert. Das Interesse verteilt sich heute auf viele verschiedene Dinge, da musste die klassische Musik zwangsläufig zurückstecken. Aber deswegen braucht man nicht pessimistisch zu sein. Im Grunde hat sich die Lage für klassische Musik doch verbessert. Früher haben alle wichtigen Konzerte und Veröffentlichungen nur beim staatlichen Fernsehen stattgefunden, und in den großen Zeitungen. Heute gibt es viele, kleine, private Angebote. So etwas wie die Taschenphilharmonie wäre damals gar nicht denkbar gewesen.

Aber es gibt doch auch heute viel Klassik im Fernsehen. David Garrett, die 10 Tenöre...

Ich versuche eigentlich, weg zu kommen von all diesen Netrebkos und David Garretts mit offenem Hemd. Mir geht es darum, dass wir vor Brahms und Beethoven alle ziemlich kleine Lichter sind. Das Schöne ist: Das zu lernen, macht Spaß. Empfinden Kinder dieses beglückende Gefühl, das gute Klassik bereitet, möglichst früh, kommen sie mit 25 garantiert darauf zurück. Das Klassikpublikum stirbt noch lange nicht aus.

Am zweiten Weihnachtsfeiertag gibt die Taschenphilharmonie Franz Liszts „Weihnachtsbaum“ als Familienkonzert. In der begleitenden Erzählung hört der kleine David nicht nur vom Jesuskind, sondern erfährt von seinem Onkel Aron auch einiges über das jüdische Hanukka-Fest. 26.12., Allerheiligenhofkirche, 15 und 16.30 Uhr, Eintritt 12 Euro

Veröffentlicht am: 21.12.2011

Über den Autor

Isabel Winklbauer

Redakteurin

Isabel Winklbauer ist seit 2011 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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