Nikolaus Paryla in der Komödie im Bayerischen Hof: Uns geht's gut, warum haben wir schlechte Laune?
Vor 20 Jahren, in der ersten Spielzeit der Intendantin Margit Bönisch, war Nikolaus Paryla schon ein Zugpferd in der Komödie im Bayerischen Hof. Damals spielte und inszenierte er Goldonis „Diener zweier Herren“. Nun feiert Bönisch ihr 20. Jubiläum als Theaterleiterin und das 50-jährige Bestehen der Bühne. Und wieder ist der mittlerweile 72-jährige Nikolaus Paryla dabei: Diesmal ist er „Der eingebildete Kranke“ von Molière, wiederum in eigener Regie.
Der 72 Jahre alte Wiener Nikolaus Paryla pendelt zwischen Theater und Film. Zu seinen wichtigsten Rollen gehört Patrick Süskinds "Kontrabass".
Herr Paryla, Sie inszenieren seit vielen Jahren gerne Lustspiele der Commedia dell'arte und spielen selbst die Hauptrolle. Warum diese Doppelfunktion?
Als ich anfing mit diesen Stücken, habe ich einen Regisseur gesucht, aber keinen geeigneten gefunden. Die meisten Regisseure haben kein großes Interesse mehr an der Commedia dell'arte. Molières Stücke sind zwar nicht mehr Commedia dell'arte, aber dieses, sein letztes, steht ihr noch nahe: Argan entspricht dem Pantalone, Toinette der Colombina. Heute wollen die Regisseure alles modern machen. Harlekin in Jeans - das ist ist legitim, aber ich hab's nicht so gerne. Ich benutze die alten Formen, um die Modernität und verblüffende Aktualität der Stücke sichtbar zu machen. Außerdem gibt es eine uralte Tradition, dass der primo attore, der Hauptdarsteller, auch das Drumherum inszeniert. Auch Nestroy, Eduardo de Filippo, Dario Fo waren Stückeschreiber, Schauspieler und Regisseure. Diese Einheit funktioniert bei Komödien ganz gut. Ich würde nicht den König Lear spielen und zugleich selbst inszenieren. Aber diese alten, fast slapstickhaften Formen aus dem Zentrum heraus zu organisieren, ist sehr wirkungsvoll. Mein Vater Karl Paryla hat das auch oft gemacht. So hat es sich eingebürgert, dass ich selber inszeniere. Heute kennen viele Regisseure das Schauspielerhandwerk nicht mehr. Aber ein Dirigent sollte auch wenigstens Klavier spielen können. Und ich bin immer gut vorbereitet. Ich will eine präzise Form, ohne irgendjemanden - auch mich selbst nicht - zu etwas zu zwingen.
Der Hypochonder Argan misst seine Gesundheit an der Menge der Arzneien: Je mehr, desto besser fühlt er sich. Was ist an ihm aktuell?
Argan ist als reicher Mann eine ziemlich typische Figur für die übersättigte, wohlhabende Verfressenheit in unserer Kultur. Uns geht's viel besser als dem Rest der Welt. Aber wo's den Konsumenten besonders gut geht, sind schlechte Laune, Egoismus und Verdruss viel ausgeprägter. In Indien haben die Leute nichts zu essen, aber lachende Augen. Wir sind depressiv, vollgefressen, fühlen uns unwohl. Und haben Angst, nachts in die U-Bahn einzusteigen, weil soviel Aggression herrscht. Argan hat wahrscheinlich eine schwere Depression, gibt sie sich aber nicht zu. Er hat einfach Angst. Darunter ist er im Grunde ein lieber, gutmütiger Kerl - das beweisen ihm die anderen. Er erkennt sich selbst, verändert sich, und wird ein netter, umgänglicher Mensch.
Woher nehmen Sie die Zuversicht, er könne am Ende geheilt sein?
In Molières Original gibt es als Reminiszenzen an die Commedia dell'arte pantomimische und tänzerische Zwischenspiele, die heute kaum noch gespielt werden. Da muss ein Schauspieler blitzschnell von seiner Rolle in die Pantomime wechseln Gerade damit kann man zeigen, dass ein Charakter sich ändern kann. Wir haben ab und zu einen winzigen Hauch dieser Zwischenspiele mit reingenommen.
Argans Bruder Berald hält dem Hypochonder einen Vortrag über die Scharlatanerie seiner Doktoren. Ist diese Kritik heute noch gültig?
Unbestreitbar, wenn man die Statistiken liest, wieviel Hunderttausende von Menschen an Nebenwirkungen von Medikamenten sterben, von denen die Hälfte nicht nötig oder sogar gefährlich ist. Zu Molières Zeiten waren das ja meist natürliche Mittel, heute trennen wir zwischen Schulmedizin und alternativer Medizin. Wenn man das ein bisschen spirituell betrachtet, ist es ganz erstaunlich, was Berald sagt über die Selbstheilungskräfte der Natur. Bei uns ist das ein konstruktives Gespräch. Am Ende bringen die Leute aus dem Karneval Lebensfreude und Spaß ins Zimmer, alles löst sich in einer charmanten, mediterranen Feststimmung auf.
Sie sind auch vor der Kamera sehr gefragt.
Gerade habe ich einen Film mit Marcus H. Rosenmüller gedreht, „Wer's glaubt, wird selig“, da spiele ich einen Papst. Und in Wien haben wir eine TV-Serie „Der Mediator“ angefangen.
Ihr Lebenserfolg ist der „Der Kontrabass“ von Patrick Süskind. Seit 1981 haben Sie den Bühnenmonolog etwa 700 Mal gespielt. Wird Ihnen das nie über?
Sänger singen doch auch ihr Leben lang dieselben Partien und Clowns spielen immer dieselben Nummern. Natürlich muss man aufpassen, dass man nicht in Routine rutscht. Aber nach jeder längeren Pause arbeite ich die Rolle wieder durch, fast wie vor einer Premiere. Für mich ist es eine Gnade, so ein Stück zu haben, das ich immer wieder spielen darf.
Komödie im Bayerischen Hof, bis 10. März 2012, Telefon 29 16 16 33, www.komoedie-muenchen.de