Märtyrer aus Solidarität: Stückl inszeniert Hochhuths "Stellvertreter"

von Gabriella Lorenz

Ungekürzt würde die Aufführung des "Stellvertreters" an die acht Stunden dauern, Regisseur Stückl hat den Text auf drei Stunden gekürzt, Foto: Arno Declair

Was war das für ein Skandal, als Erwin Piscator anno 1963 „Der Stellvertreter“ in Berlin uraufführte. Da bezichtigte der Schriftsteller Rolf Hochhuth den 1958 verstorbenen Papst Pius XII. der Mitschuld am Holocaust – wegen dessen Schweigen zum Völkermord an den Juden. Volkstheater-Chef Christian Stückl wagt jetzt eine Inszenierung in München.

Mit einer Mischung aus Doku-Theater und Fiktion fragt Hochhuth nach Schuld und Verantwortung, in einem Moral-Duell zwischen dem SS-Offizier Kurt Gerstein (den es tatsächlich gab) und dem erfundenen Jesuitenpater Riccardo Fontana. Gerstein ist entsetzt über die Gräuel, die er in Vernichtungslagern in Polen gesehen hat, und will mit Hilfe des römischen Priester-Diplomaten den Papst zum Protest bewegen - vergeblich. Aber Fontana wird zum Mitleidenden und Märtyrer aus Solidarität.

Der Blick ins Schaufenster einer Hamburger Buchhandlung war für Stückl der Auslöser. Bei der  Wiederaufnahme seiner Operninszenierung „Palestrina“ wurde viel über Pfitzners Antijudaismus diskutiert. Die Pius-Bruderschaft machte gerade mit dem Holocaust-Leugner Williamson von sich reden, und die rechte Szene rumort ja in Deutschland auch immer. „Durch die Passionsspiele in Oberammergau spring' ich schnell auf das Thema Antijudaismus an“, sagt Stückl. „Als ich da plötzlich das Buch ,Der Stellvertreter' sah, hat mich das getroffen.“

Um die umstrittene historische Wahrheit geht es ihm nicht: „Das ist kein Historiendrama. 1963 waren noch viele Nazi-Schergen im gesellschaftlichen Leben Deutschlands aktiv. Damals war es sicher für manche wohltuend, auch anklagend auf Rom zeigen zu können. Heute interessiert es doch niemanden mehr, Pius XII. abzukanzeln, ob er als Papst richtig gehandelt hat. Aber offenbar haben einige Leute in der Kirche Angst, dass sich die Presse durch die Aufführung wieder auf das Thema draufsetzt.“

Den Theatermann Stückl interessiert vor allem die Figur des Riccardo Fontana: „Er will in einem totalitären System die Hierarchien der Kirche aufbrechen. Er geht konsequent seinen Weg, heftet sich den Judenstern an. Er setzt sein Leben ein, wie es Jesus getan hat, er nimmt das Leiden auf sich bis zum Ende. Er ist der eigentliche Stellvertreter Christi. Vorbilder für die Figur sind der Pater Maximilian Kolbe und Prälat Bernhard Lichtenberg.“

Sein Verbündeter Kurt Gerstein versteht Fontanas Handeln nicht: Sich selbst den Judenstern anzuheften, rettet keinem Juden das Leben, argumentiert er. Die beiden bleiben sich fremd, dennoch will Gerstein am Ende Fontana aus dem KZ befreien. Auch die Familie des historischen Gerstein tue sich mit ihm schwer, berichtet Stückl: „Ein Neffe hat uns erzählt, er habe erst durch Hochhuths Stück eine neue Sicht auf seinen Onkel gewonnen. Gerstein war ja SS-Offizier, der mit flackernden Augen viel ausprobiert hat. Es gibt Berichte, dass er Zyklon B vernichtet hat, damit es nicht zum Einsatz kam. Bei Hochhuth bleibt er aber eine Bühnenfigur: Die Treffen in Rom haben nie stattgefunden.“

Ungekürzt würde eine Aufführung fast acht Stunden dauern, Stückl hat es auf weniger als drei Stunden gestrichen. Der als streitbar bekannte Hochhuth hat sich zur Premiere angesagt – mal sehen, wie er reagiert.

Volkstheater, heute Premiere (25. Januar 2012) , 19.30 Uhr, Tel. 523 46 55, www.muenchner-volkstheater.de

Hier der offizielle Trailer:

 

Veröffentlicht am: 25.01.2012

Über den Autor

Gabriella Lorenz

Gabriella Lorenz ist seit 2010 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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